Leuchtende Proben und blutiger Durchfall: EHEC nachweisen mit einem neuen Test?

Blutiger Durchfall, ein krankes Kind und die Suche nach Antworten: Im Labor entwickelt eine Wissenschaftlerin einen leuchtenden Test, der gefährliche EHEC nachweisen kann. Im 2. Teil der Reportage hofft die Forscherin auf ein Leuchten – war ihre Arbeit erfolgreich?
Reportage über EHEC-Forschung

Zuletzt aktualisiert am 20. Juli 2025 von Isabell

Dieser Beitrag ist der 2. Teil der Reportage „Von unsichtbar zu unübersehbar – Wie ein Leuchten EHEC-Infektionen entlarvt“. Während ihrer Promotion entwickelt eine Forscherin einen neuen Test. Das Ziel: EHEC nachweisen, und zwar schneller und einfacher als bisher.

Anfang verpasst? Hier gehts zum 1. Teil der Reportage.

Shigatoxin und EHEC nachweisen – mit einer künstlichen Schlaufenstruktur

Wie dieser Test am besten funktioniert, erforscht sie seit vier Jahren für ihre Doktorarbeit. Shigatoxine zerschneiden die Schlaufenstruktur in den Ribosomen, den sogenannten Sarcin-Rizin-Loop. Aber wie kann sie diesen Schnitt der Shigatoxine im Labor sichtbar machen – vielleicht durch Leuchten?

Dafür hat sie eine künstliche Schlaufenstruktur aus DNA gebaut, die auf der Sequenz des Sarcin-Rizin-Loops basiert. An einem Ende dieser Schlaufenstruktur hängt ein Fluoreszenzfarbstoff, am anderen ein Quencher.

Dieser Quencher ist in der Lage, die Fluoreszenz des Fluorophors zu absorbieren und damit zu löschen, wenn sich beide nahe genug kommen. Diesen Effekt nennt man Förster-Resonanz-Energie-Transfer, abgekürzt FRET. Ist die Schlaufenstruktur intakt, ist keine Fluoreszenz und somit kein Leuchten zu sehen.

Allerdings besitzt das Shigatoxin eine enzymatische Aktivität und schneidet die Schlaufenstruktur, die als Substrat dient. Sobald Shigatoxin in einer Probe vorhanden ist, schneidet es die Schlaufenstruktur und zwei Fragmente entstehen. Dadurch entfernen sich Fluorophor und Quencher und überwinden den FRET-Effekt: Die Fluoreszenz wird sichtbar – die Probe leuchtet.

Positive Proben leuchten, negative nicht. Allerdings war das erste Leuchten einer positiven Probe nicht sofort sichtbar. Es brauchte vier verschiedene Substrate, mit denen sie zunächst unterschiedliche Fluorophore und dann die perfekte Stelle für das Fluorophor analysierte.

Außerdem probierte sie verschiedene Sequenzen aus und versucht, das Substrat in deiner Schlaufenstruktur zu stabilisieren. Diese Schlaufe ist essenziell, damit das Shigatoxin diese erkennt und schneidet.

EHEC nachweisen: Funktionsprinzip des neu entwickelten Schnelltests
Wie der Test funktioniert (von links nach rechts): Ein künstliches Substrat wird mit einem Fluorophor markiert. Ohne Shigatoxin bleibt es intakt und kein Leuchten ist zu sehen. Sobald Shigatoxin in der Probe vorhanden ist, wird das Substrat geschnitten – ein Leuchten entsteht. Dieses Leuchten wird in einem Gerät gemessen. Je stärker die Probe leuchtet, umso mehr Shigatoxin ist vorhanden. Quelle: Ramming et al., 2024, ACS Infectious Diseases

Und es gab eine weitere Herausforderung: 18 Typen des Shigatoxins sind bekannt. Sie unterscheiden sich in ihrer Struktur. Während drei von ihnen sich in einem einzigen Punkt unterscheiden, stimmen andere nur zu etwa 60 Prozent überein. Wissenschaftler vermuten, dass sie trotz ihrer Unterschiede auf die gleiche Weise wirken. Untersucht wurde dies jedoch noch nicht.

Vier Shigatoxin-Typen sind für die meisten Infektionen verantwortlich, führen aber bei verschiedenen Patienten zu unterschiedlich starken Symptomen. Ob diese Unterschiede allein auf die Shigatoxine oder auf Wechselwirkungen mit dem Patienten zurückzuführen sind, muss noch erforscht werden. Der entwickelte Test kann ein Ansatzpunkt für diese Untersuchungen sein.

Inzwischen ist der entwickelte Test fast so empfindlich wie Standardmethoden. Außerdem zeigt ihr Test, dass das Shigatoxin enzymatisch aktiv ist und somit eine aktive Infektion vorliegt, die den blutigen Durchfall und die eingeschränkte Nierenfunktion auslöst.

Ein Leuchten im Labor zeigt, ob der Test funktioniert

Während der Test läuft und die Proben auf Shigatoxin untersucht, kehrt sie zur Werkbank zurück. Ihre Laborarbeit ist für heute beendet. Sie verräumt die Gegenstände, leert den Tischmülleimer und desinfiziert die Oberfläche gründlich mit Alkohol. Dann fährt sie die Scheibe der Werkbank herunter. Ein durchdringendes Piepen signalisiert, dass der Luftstrom keinen vollständigen Luftschleier mehr bildet. Als die Glasscheibe unten angekommen ist, verstummt das Piepen und das Licht erlischt.

Mit ihrem heutigen Experiment testet sie 40 Proben, die 40 EHEC-Gruppen repräsentieren. Das wichtigste Merkmal von EHEC ist das Shigatoxin, aber noch weiß sie nicht, ob der Test EHEC unabhängig von den anderen 15 Eigenschaften nachweist. Sie will zeigen, dass das aktive Shigatoxin bei allen EHEC nachweisbar ist.

Wissenschaftlerin, die am Computer sitzt und den Test auswertet.
Hier wird der Test ausgewertet: Links steht das Gerät, das das Leuchten misst. Es ist direkt mit dem Computer verbunden, auf dem die Kurven sichtbar sind. Jede Kurve zeigt eine Probe. Kurven am unteren Rand der Grafik sind negativ, besitzen kein Shigatoxin. Eine nach oben ansteigende Kurve zeigt an, dass die Probe Shigatoxin enthält. Foto: Maud Hennequin, RKI

Das Gerät registriert das Leuchten der positiven Proben, was die Wissenschaftlerin indirekt sieht. Was sie sieht, ist eine horizontale Kurve unten links auf dem Bildschirm des Geräts. Alle 15 Minuten misst das Gerät das potenzielle Leuchten und fügt einen weiteren Wert hinzu. So entsteht allmählich eine Kurve.

Enthält die Probe das für den blutigen Durchfall verantwortlich Shigatoxin, steigt die Kurve an und verläuft fast senkrecht nach oben. Innerhalb einer Stunde kann eine solche Probe positiv sein, wenn viel Shigatoxin vorhanden ist.

Um die Ergebnisse ihres heutigen Experimentes auszuwerten, wirft sie zunächst einen kritischen Blick auf den Bildschirm des Gerätes. Zuerst prüft sie, ob ihre Kontrollen funktioniert haben. Davon gibt es mindestens drei: eine Positivkontrolle und zwei Negativkontrollen. Die Positivkontrolle ist eine EHEC-Probe, die in den 1980er-Jahren den weltweit ersten Ausbruch in den USA verursachte. Bei den Negativkontrollen handelt es sich um ein Töpfchen ohne Probe und eines mit EHEC, das kein Shigatoxin bilden kann.

Freude im Labor – der Test funktioniert!

Ihr Blick verändert sich, wird freudiger: Alle Kontrollen haben funktioniert. Mit weiteren Klicks stellt sie fest, dass der Test alle getesteten EHEC-Gruppen erkennt. Das Leuchten im Labor – der Test funktioniert!

Die Freude über den funktionierenden Test trägt sie über schwierige Phasen. Denn nicht immer klappte alles auf Anhieb. Zu Beginn ihrer Arbeit bekam sie keine Kurve. Das wunderte sie, denn andere Tests zeigten, dass die Bakterien das Shigatoxin produzierten.

Mit den Anpassungen funktionierte der Test dann zum ersten Mal – ein bewegender Moment. Inzwischen weiß sie aus ihrer Forschung, dass das Shigatoxin zwar vorhanden sein kann, aber nicht immer enzymatisch aktiv ist. Ein Umstand, der bisher kaum untersucht und mit den tatsächlichen Symptomen der Patienten verglichen wurde.

Mit über als 90 EHEC-Bakterien und anderen Darmerregern wie Salmonellen hat sie den Test optimiert. Sie untersuchte, wie spezifisch der Test nur EHEC nachweist, die Shigatoxin produzieren. Unspezifische Reaktionen würden zu falsch-positiven Ergebnissen führen und Patienten bekämen kein Antibiotikum, obwohl es bei ihnen optimal wäre.

Sie analysierte, wie sensitiv der entwickelte Test ist, also wie zuverlässig der Test wenig Shigatoxin in der Probe nachweist. Ob sie die Stuhlproben der Patienten direkt für die Analyse verwenden kann. Und ob sie das Leuchten auch mit einer UV-Lampe direkt in der Stuhlprobe sehen kann. All das würde die EHEC-Diagnostik im Klinikalltag enorm erleichtern.

In Gedanken immer noch bei dem einjährigen Mädchen, zieht sie sich in der Umkleide wieder um.

Der Test kann noch mehr

Derzeit gehen Forscher davon aus, dass ein positiver PCR-Befund bedeutet, dass ein Mensch mit EHEC infiziert ist. Das Ergebnis zeigt jedoch nur an, dass ein Teil der DNA-Information für das Shigatoxin existiert. Diese DNA kann unvollständig, frei in der Probe oder durch Bakteriophagen in das Bakterium eingebracht sein. In all diesen Fällen wäre die Information vorhanden, das Bakterium aber nicht fähig, Shigatoxin zu bilden.

Ohne enzymatisch aktives Shigatoxin bleiben jedoch die typischen Symptome einer EHEC-Infektion aus. EHEC-Ausbrüche treten weltweit auf, regelmäßig in Ländern wie den USA oder Argentinien mit hohem Fleischkonsum und intensiver Rinderhaltung.

Der bisher weltweit größte EHEC-Ausbruch ereignete sich 2011 in Norddeutschland. Innerhalb von drei Monaten erkrankten fast 5.000 Erwachsene, so viele wie sonst in einem ganzen Jahr. Bei ungewöhnlich vielen versagten die Nieren, 54 von ihnen starben. Die Suche nach der Ursache war nervenaufreibend: Auslöser war ein EHEC-Typ mit einer bis dahin unbekannten Kombination von Eigenschaften, aber mit dem Shigatoxin als zuverlässiges Merkmal. Der neu entwickelte Test hätte vermutlich EHEC in den Patientenproben nachweisen können.

Bis heute ungelöst bleibt das Problem, ob und welches Antibiotikum bei einer EHEC-Infektion eingesetzt werden kann. Möglicherweise gibt es Antibiotika, unter denen weniger Shigatoxin gebildet wird. Mit dem Test wird die Aktivität aller Shigatoxin-Typen unter verschiedenen Antibiotika bestimmt, um geeignete Antibiotika abzuleiten. Außerdem könnten Medikamente entwickelt und getestet werden, die die Aktivität des Shigatoxins unterdrücken. Blutiger Durchfall und Nierenversagen könnten verhindert werden.

Interessant ist, dass der Test genutzt werden kann, um ein weiteres potentes, pflanzliches Toxin nachzuweisen: Rizin des Wunderbaumes. Obwohl Rizin und Shigatoxin von unterschiedlichen Organismen gebildet werden, ist ihre enzymatische Aktivität und ihre Wirkung sehr ähnlich.

Es wird dauern, bis vielversprechende Kandidaten für die Behandlung und der Test in diagnostischen Labors zur Verfügung steht. Im kleinen Maßstab funktioniert er gut. Erste Untersuchungen mit Stuhlproben von Patienten zeigten, dass der Test direkt für eine Untersuchung einsetzbar ist. Wie belastbar der Test ist, werden größere Studien an verschiedenen Orten mit vielen Patientenproben zeigen.

Bis dahin sind Händewaschen, Durcherhitzen von Speisen und gründliches Waschen von Gemüse geeignete Maßnahmen, um eine Infektion mit EHEC zu vermeiden.

Von der Wissenschaftlerin zur Mama

Zurück an ihrem Computer im Büro, wertet die Wissenschaftlerin die Ergebnisse des Tages aus. Sie erstellt Grafiken und schreibt an einem Fachartikel weiter. Der Test nützt nur etwas, wenn die Ergebnisse der Öffentlichkeit und anderen Forschern weltweit zugänglich sind. Während ihrer Doktorarbeit entwickelten sie und ihre Kooperationspartner einen funktionierenden Test, der EHEC schneller und zuverlässiger nachweist.

Das Gefühl, mit ihrer Arbeit dazu beizutragen, dass Ärzte EHEC schneller erkennen und behandeln können, treibt sie an. Damit Ärzte auch in Zukunft EHEC-positiven Patienten wie dem einjährigen Mädchen helfen können.

Am Ende des Tages schaltet sie zufrieden ihren Computer aus. Schnell notiert sie sich die Aufgaben für den nächsten Tag in ihrem Kalender. Sie zieht ihre Jacke an, löscht das Licht und geht zum Auto, vorbei an Kollegen und dem malerischen Wernigerode. Noch eine knappe Stunde Fahrt, dann ist sie zu Hause bei ihrem Kind.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Previous Article
Reportage EHEC-Forschung Teil 1

Von unsichtbar zu unübersehbar – Wie ein Leuchten EHEC-Infektionen entlarvt

Next Article

EHEC Ausbruch 2025

Related Posts
WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner