Das Testergebnis flimmert über den Bildschirm: positiv auf „Enterohämorrhagische Escherichia coli“. Daneben die Abkürzung für diesen Erreger, EHEC. Oben auf dem Bildschirm die Details zum Patienten: ein kleines Mädchen, ein Jahr alt. Mit blutigem Durchfall in die Klinik gebracht.
Am Computer sitzt eine junge Wissenschaftlerin. Ihre braunen, schulterlangen Haare schiebt sie sich nachdenklich hinter ihr linkes Ohr, mit der rechten Hand bedient sie die Maus. Ihr Büro liegt im Dachgeschoss des Robert Koch-Institutes in Wernigerode.
An den Wänden hängen Notizen, ein Kalender und Skizzen von Bakterien. Daneben hängt ein großes Whiteboard mit einer langen To-do-Liste. Einige Punkte sind bereits abgehakt, andere mit einer Frist versehen. Im Regal daneben steht ein Familienfoto mit Kleinkind.
Die positiven Befunde von EHEC-Infektionen trägt sie in eine Tabelle ihres Protokolls ein. Sie forscht an einem neuen Test, der eine EHEC-Erkrankung schnell nachweist. Mit den EHEC-Bakterien aus den Patientenproben entwickelt und verbessert sie den Test.
Neben den EHEC-Proben enthält ihr Protokoll einen detaillierten Plan mit Experimenten, die sie ihrem Ziel näherbringen. Mit diesem geht sie nun durch das helle Treppenhaus mit großer Glasfront eine Etage tiefer zum Labor. Es wird ein langer Tag.
Verschiedene EHEC-Bakterien lösen eine Infektion aus
EHEC, der Übeltäter hinter der tückischen Infektion des einjährigen Kindes mit blutigem Durchfall. Ein schlecht gebratener Burger, Rohmilchprodukte oder Bockshornkleesamen – wir können uns auf vielen Wegen mit EHEC anstecken.
Weniger als 100 EHEC-Bakterien reichen aus, um uns krankzumachen. Allein im Jahr 2024 waren das laut Robert Koch-Institut mehr als 4.500 Menschen in Deutschland. Jeder von ihnen hätte einen eigenen Sitzplatz in zehn ICE-Zügen.
Nach zwei bis vier Tagen treten die ersten Symptome auf: Unwohlsein, Magenkrämpfe und Durchfall. Bei drei von vier Patienten ist der Stuhl blutig. Ein Alarmsignal, bei dem der Patient dringend einen Arzt aufsuchen sollte.
Bei jedem Zehnten leidet die Niere und wird geschädigt, das sogenannte hämolytisch-urämische Syndrom, kurz HUS. Im schlimmsten Fall hört sie auf zu arbeiten. Hier gilt: Je schneller EHEC als Ursache erkannt wird, desto schneller kann dem Patienten geholfen werden.
Obwohl EHEC und unser gutes Darmbakterium Escherichia coli miteinander verwandt sind, unterscheiden sie sich durch neue Informationen, die nur EHEC aufgenommen hat. Mit diesen Informationen passt sich das Bakterium an seine Umgebung an. Von außen sehen EHEC-Bakterien identisch aus, die Unterschiede werden erst bei genauerem Hinsehen sichtbar.
Das ist wie bei identischen Smartphones desselben Modells, die sich äußerlich ähneln. Erst wenn wir sie entsperren, erblicken wir das, was sie ausmacht: ihre Apps. Neben harmlosen Apps kann es auch solche geben, die Schaden anrichten. Um diese Smartphones unterscheiden zu können, braucht es diesen Blick ins Innere.
Für EHEC ist das mit diversen Tests möglich, um die bis zu 15 verschiedenen Eigenschaften, ihre Apps, zu analysieren. Diese Eigenschaften sind variabel: Merkmale auf ihrer Oberfläche oder Giftstoffe, die sie produzieren oder wie gut sie sich an unsere Darmwand anheften.
Diese Merkmale auf der Oberfläche von EHEC nutzen Wissenschaftler, um EHEC in Gruppen einzuteilen. Nicht nur eine, sondern elf EHEC-Gruppen verursachen mehr als 75 % der EHEC-Infektionen in Deutschland.
Der Spagat zwischen Selbstschutz und der Forschung mit krankmachenden Bakterien
An der Tür zum Labortrakt prangt ein Schild mit der Aufschrift „Vorsicht! Biogefährdung“. Kurz die Chipkarte vor einen Sensor gehalten, dann öffnet sich die Tür langsam und gibt den Weg frei auf eine gläserne Brücke zu den Laboren. Hier beginnt der Bereich, in dem die Wissenschaftler an Krankheitserregern wie EHEC forschen.

Im Laborgebäude tauscht sie ihre Straßen- gegen Laborschuhe mit mintgrünen Sohlen und zieht sich einen weißen, langärmeligen Kittel an. Am Ende eines langen Flures, von dem links und rechts Türen abgehen, öffnet sie eine der Labortüren.
Es zischt leise, als sie das helle, weiße Labor betritt, in dem es nach Desinfektionsmittel riecht. Sie legt das Protokoll auf den Tisch und bindet sich die Haare zu einem Zopf. Dann stellt sie Kolben, Flaschen mit gelber Flüssigkeit, Pipetten und Agarplatten mit grauen Punkten neben eine gläserne Werkbank.
Per Knopfdruck fährt sie die Frontscheibe der Werkbank zur Hälfte nach oben. Im Labor wird es lauter, ein konstanter Luftstrom in der Werkbank entsteht, der eine sterile Umgebung im Inneren erzeugt. Der Luftstrom schützt nicht nur den Innenraum und ihre Arbeit, sondern auch sie selbst.
Ihre Handgriffe sind ruhig und bedächtig, damit sich der Luftstrom wie ein unsichtbarer Schleier ausbreiten kann. Schnelle Bewegungen könnten den Schleier reißen lassen, wodurch Luftkeime von außen eindringen und die Bakterienkultur verunreinigen.
Eine Gefahr, die jeder im Labor fürchtet: Kontaminierte Kulturen sind für Experimente unbrauchbar. Die gelbe Flüssigkeit, das Nährmedium mit allen wichtigen Nährstoffen für die Bakterien, schüttet sie in einen Glaskolben. Mit einem länglichen Plastikstab mit einer Rundung am Ende, die Impföse, überführt sie einen grauen Punkt der Agarplatte in das Nährmedium.
Mit diesem einen Punkt, der Kolonie, werden mindestens 50 identische Bakterien übertragen. Erst zu diesem Haufen zusammen gelagert können wir die Bakterien mit bloßem Auge sehen. Der Kolben wandert anschließend bis zum nächsten Morgen in einen Brutschrank, in dem eine Temperatur von 37 °C herrscht.
Ein Gift von EHEC greift die Zellen des Darms und der Nieren an
Mit ihren Experimenten will sie erreichen, dass EHEC-Infektionen künftig einfacher und schneller nachweisbar sind. Auch wenn es dafür bereits Methoden gibt – bisher müssen Ärzte relativ lange auf ein Testergebnis warten. Dabei ein schnelles Testergebnis enorm wichtig, um die optimale Therapie einzuleiten.
Derzeit dauert es bis zu drei Tage, um EHEC-Infektionen nachzuweisen. Für die mehr als 15 Eigenschaften von EHEC gibt es mehrere Methoden. Vier Methoden haben sich durchgesetzt:
1. Eine spezielle Agarplatte, auf der bestimmte Gruppen von EHEC wachsen.
2. Die Polymerase-Kettenreaktion (PCR), die die genetische Information des Giftstoffs vervielfältigt und nachweist.
3. Ein Verfahren, das EHEC direkt anhand seiner Stoffwechseleigenschaften identifiziert (MALDI).
4. Ein Test, der den Giftstoff mithilfe von Antikörpern nachweist (ELISA).
Alle Methoden haben Vor-, aber auch Nachteile: Entweder erkennen sie nicht alle EHEC-Gruppen, benötigen viel Probenmaterial oder führen zu falsch positiven Ergebnissen. Die Wissenschaftlerin weiß, dass keiner dieser Tests anzeigt, ob das EHEC-Bakterium mit dem Giftstoff wirklich die Ursache für die Symptome ist.
Blutiger Durchfall und Nierenversagen bei EHEC-Infektionen entstehen, weil EHEC ein Gift namens Shigatoxin produziert. Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte es der japanische Bakteriologe Kyoshi Shiga während eines Ausbruchs. Dieses Shigatoxin dringt in die Zellen des Darms und der Nieren ein, greift sie an und hindert sie daran, Proteine zu bilden.
Dieser Angriff findet in den Ribosomen der Zellen statt, genauer an einer Schlaufenstruktur, Sarcin-Rizin-Loop genannt. Das Shigatoxin zerschneidet diese Schlaufe. Ein gezielter Schnitt genügt und die Zelle produziert keine Proteine mehr. Sie versorgt sich nicht mehr selbst – und stirbt. Während die toten Zellen im Darm bluten, scheitern die abgestorbenen Zellen in der Niere daran, die Giftstoffe aus dem Körper zu entfernen.
Das Shigatoxin ist das größte Problem, wenn Ärzte EHEC behandeln wollen. Obwohl EHEC Bakterien sind, behandeln Ärzte sie selten mit Antibiotika – aus einem bestimmten Grund: Antibiotika bedeuten Stress für die Bakterien. Und EHEC reagiert auf diesen Stress, indem es noch mehr Shigatoxin ausschüttet und Tausende von Zellen angreift. Der blutige Durchfall der Patienten wird stärker, die kaputten Zellen in den Nieren nehmen zu. Der lebensbedrohliche Zustand HUS entsteht.
Gleichzeitig bis zu 96 Untersuchungen in einer einzigen Platte
Über Nacht hat sich die klare, gelbe Flüssigkeit im Kolben in eine trübe Lösung verwandelt; ein Zeichen dafür, dass sich die Bakterien vermehrt haben. Diese Bakterienlösung braucht sie für alle Experimente in ihrem Protokoll und zusätzlich eine spezielle weiße Platte. In dieser Platte, die so groß ist wie acht Briefmarken, kann sie bis zu 96 Proben gleichzeitig untersuchen. Denn die Platte beherbergt 96 Töpfchen, jedes kleiner als ein Cent-Stück.

In der Werkbank bereitet sie eine Lösung vor, die eine künstliche Version der Schlaufenstruktur enthält. Diese Lösung gibt sie in jedes dieser Töpfchen, um die Proben zu untersuchen. Die Mengen sind winzig: 15 Mikroliter. Ein Mikroliter, also ein tausendstel Milliliter, ist etwa so viel wie ein Tropfen Blut.
Und obwohl dieses Volumen überaus gering ist, pipettiert sie mit einer Pipette auf den Mikroliter genau. Schließlich gibt sie 5 Mikroliter der Probe in ein Töpfchen. Ein Drittel eines Tropfens Blut genügt, um zu erkennen, ob die Probe eines Patienten positiv oder negativ ist. Ein Drittel eines Tropfens Blut, um zu entscheiden, ob die Probe Shigatoxin enthält oder nicht.
Damit die Flüssigkeit nicht verdunstet, ist die Platte mit einer durchsichtigen Klebefolie luftdicht verschlossen. Neben der Werkbank steht ein weißes Gerät mit seitlichen Lüftungsschlitzen, einem Bildschirm auf der Vorderseite und einem grünen Deckel.
Auf Knopfdruck öffnet sich der Deckel und gibt einen Heizblock mit 96 Vertiefungen frei. Die Platte passt genau in den Heizblock, der die Temperatur auf 44 °C hält. Dann schließt sich der Deckel fast geräuschlos. Mit dem grünen Startknopf auf dem Bildschirm startet sie den Test.
