Bakteriophagen – Feinde, faszinierende Vergessene und bemerkenswerte Helfer

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Viren, die ausschließlich Bakterien befallen. Das sind Bakteriophagen, die zwar zu den Mikroben zählen, aber immer ein Bakterium brauchen, um sich zu vermehren. Entdeckt im 19. Jahrhundert, wurden sie als Heilmittel für Bakterieninfektionen gehandelt – bis ihnen Antibiotika den Rang abliefen.

Seit einigen Jahren rücken Bakteriophagen wieder mehr in den Fokus. Denn sie können uns auf vielfältige Weise helfen, unsere Probleme mit unliebsamen Mikroben zu lösen – zur Behandlung von Krankheiten und zum Schutz von Lebensmitteln.

In diesem heutigen Beitrag wollen wir klären, was Bakteriophagen eigentlich sind. Wie werden sie Bakterien gefährlich? Und wie können sie genutzt werden, um Bakterieninfektionen zu bekämpfen?

Was sind Bakteriophagen?

Auf unserer Welt gibt es Milliarden von Viren. Eine besonders hohe Vielfalt finden wir im Meereswasser. Hier findest du etwa 10 Millionen Viren in einem einzigen Milliliter Meereswasser!

Viren haben eine Besonderheit: Um zu überleben, benötigen sie immer einen sogenannten Wirt. Sie können sich nicht allein vermehren, sondern nutzen dafür den Wirt.

In dieser Vielfalt gibt es Viren, die sich darauf spezialisiert haben, Bakterien (ihr Wirt) zu befallen. Diese Viren, die nur Bakterien infizieren, werden Bakteriophagen oder auch kurz Phagen genannt. Das Wort Phage kommt aus dem Griechischen von phagein, was so viel wie fressen bedeutet.

Denn als Bakteriophagen Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt wurden, fiel auf, dass etwas in der Lage ist, Bakterien „aufzufressen“.

Bakteriophagen sind extrem einfach aufgebaut

Ja, Viren (und auch Bakteriophagen) sind auf einen Wirt angewiesen, um sich zu vermehren und zu „überleben“. Um dieses Ziel zu erreichen, ist ein einfacher Aufbau wichtig, da ansonsten eine schnelle Vermehrung nur schwer zu realisieren ist.

Wie aber ist denn nun ein Phage aufgebaut?

Wie so ziemlich alles, können auch Phagen ganz unterschiedlich aussehen. Die einen sind länglich und andere wiederum sehen wie eine kleine Raumsonde aus.

Phagenvielfalt
Quelle: Tan et al. (2016)

Im Großen und Ganzen bestehen Phagen aus dem Erbmaterial (das kann DNA oder RNA sein) und einer Proteinhülle, die das Erbmaterial umgibt.

Ein Paradebeispiel für einen Bakteriophagen ist der sogenannte T4-Phage, den du in der Abbildung unten drunter sehen kannst. Dieser T4-Phage sieht aus wie eine kleine Raumsonde. Oben in der Proteinkapsel, auch Kopf genannt, befindet sich das Erbmaterial. An den Kopf schließt sich der Kragen und der Schwanz an und endet unten mit den Schwanzfasern.

Aufbau von Bakteriophagen

Der sogenannte Schwanz ist wie ein Rohr aufgebaut und innen hohl. Durch dieses Rohr kann das Erbmaterial in die Bakterienzelle gebracht werden (dazu im Abschnitt “Wie Bakteriophagen Bakterien befallen” mehr).

Die Entdeckung der Bakteriophagen

1896 berichtete der britische Bakteriologe Ernest Hankin von antibakteriellen Aktivitäten in den Flüssen Ganges und Yamuna in Indien. Er fand heraus, dass ein unbekannter antibakterieller Stoff die Ausbreitung der Cholera verhinderte.

Die Cholera, eine zu der zeit weit verbreitete Durchfallerkrankung, die aufgrund fehlender Behandlung vielen Menschen das Leben kostete.

Es dauerte noch etwa 20 Jahre, bis 1917 der französisch-kanadische Bakteriologe Félix d’Herelle diesen “Stoff” aus Stuhlproben von Durchfallpatienten isolierte. Dieses Filtrat war frei von Bakterien und in der Lage, klare Zone auf mit Bakterien bewachsenen Agarplatten zu bilden (ähnlich wie bei einem Agardiffusionstest).

Dieses Phänomen der klaren Zonen in einem Bakterienrasen wurde durch einen Virus verursacht, der Bakterien befällt und nannte sie Bakteriophagen.

Wie Bakteriophagen Bakterien befallen – der Bakterien zerstörende (lytische) Weg

Viren benötigen einen Wirt, um sich zu vermehren. Allein sind sie dazu nicht in der Lage. Eine Vermehrung von Viren sieht so aus, dass die einzelnen Bestandteile, aus denen ein Phage besteht, im Wirt gebildet und anschließend zu einem Phagen zusammengesetzt werden.

Der Bauplan für die einzelnen Komponenten befindet sich im Erbmaterial. Mit dieser Bauanleitung wird dem Wirt „gesagt“, wie die Bestandteile gebildet und anschließend zusammengesetzt werden.

Die Infektion von Bakterien besteht aus 4 Schritten

Um Bakterien dazu zu bringen, Phagenbestandteile zu produzieren, muss der Phage das Bakterium befallen.

Vermehrung von Phagen

  1. Schritt: Der Phage heftet sich an das Bakterium an
  2. Schritt: Das Erbmaterial des Phagen wird in das Bakterium gebracht und die Phagenbestandteile werden gebildet
  3. Schritt: Das Bakterium platzt durch die vielen produzierten Phagen
  4. Schritt: Die neuen Phagen können weitere Bakterien nach demselben Schema befallen

Im Prinzip ist so eine Infektion von Bakterien durch Phagen recht einfach. Im ersten Schritt heften sich die Bakteriophagen mit ihren Schwanzfasern an bestimmte Strukturen der Bakterienzellwand an. Diese Schwanzfasern sind mit Spikes ausgestattet und können sich so an der Bakterienzellwand festklammern.

Anschließend wird der Schwanz (die hohle Röhre) wie eine Art Injektionsnadel in das Bakterium gerammt und die Zellwand durchstochen. Durch diesen geschaffenen Tunnel kann nun das Erbmaterial vom Kopf des Phagen in das Bakterium injiziert werden.

Das Erbmaterial enthält den Bauplan für die einzelnen Bestandteile eines Phagen. Das Bakterium wird genötigt, diese Bestandteile zu produzieren. Innerhalb kürzester Zeit werden viele Kopien erstellt und die einzelnen Phagen zusammengebaut (Schritt 2).

Angreifer oder trojanisches Pferd?

Der Platz im Bakterium ist durch diese Masse produzierter Phagen ziemlich eng geworden. Als Folge platzt das Bakterium und setzt explosionsartig die neu gebildeten Phagen frei. Das Bakterium stirbt (Schritt 3). Die neuen Phagen sind jetzt in der Lage, weitere Bakterien zu befallen und abzutöten (Schritt 4).

Da bei diesem Vorgehen die Bakterien absterben, wird diese Art der Infektion als lytischer Weg bezeichnet. Phagen sind aber auch in der Lage, sich wie ein trojanisches Pferd zu verhalten. Dabei wird dann das Bakterium nicht gleich dazu gezwungen, Phagen zu produzieren.

Vielmehr wird das Erbmaterial des Phagen in das Genom des Bakteriums eingebaut (lysogener Weg). Mit jeder Zweiteilung der Bakterien wird auch die Phagen-DNA vermehrt. Werden die Bedingungen für die Phagen irgendwann schlecht, verlassen sie wie Ratten das sinkende Schiff und zwingen die Bakterien dann, Phagen zu produzieren.

Was ist so besonders an Bakteriophagen? Oder: Wie wir Phagen nutzen können

Wir haben gesehen, dass Phagen Bakterien befallen und diese umbringen. Früh erkannten Forscher, dass wir diese Eigenschaft nutzen können, um bakterielle Erkrankungen zu bekämpfen. Darüber hinaus können Phagen aber noch anderweitig genutzt werden. Drei dieser Möglichkeiten wollen wir uns nun kurz anschauen.

Die Phagentherapie – Behandlung von Bakterieninfektionen

Unter Phagentherapie verstehen wir die Behandlung bakterielle Infektionen mithilfe von Bakteriophagen. Phagen befallen ganz gezielt Bakterien und töten diese ab. Für jede Art Bakterium gibt es Phagen, die nur diese Bakterienart befallen.

Ganz zu Beginn, als Wissenschaftler Phagen entdeckten, beschrieben sie die antibakterielle Wirkung dieser Phagen. Sie machten erste vielversprechende Behandlungen von Krankheiten wie Cholera oder Pest. Aber auch Wundinfektionen, die im ersten Weltkrieg oft bei den Soldaten beobachtet wurden, konnten mit Phagen teilweise behandelt werden.

Die Therapie steckte damals allerdings noch in den Kinderschuhen. Im Allgemeinen war die Phagentherapie eine erste Möglichkeit, Bakterieninfektionen zu behandeln. Sie galt gleichzeitig aber auch als unzuverlässig und nicht jede Behandlung zeigte denselben Erfolg.

Als dann Antibiotika entdeckt und ab 1940 in großen Mengen zur Verfügung standen, geriet die Phagentherapie im Westen in Vergessenheit. In einigen Ländern der ehemaligen Sowjetunion, wie etwa Georgien, wurde und wird bis heute die Phagentherapie intensiv erforscht und auch angewendet. Belastbare klinische Studien sind allerdings kaum vorhanden, sodass dieses Wissen erst noch validiert werden muss.

Die Vor- und Nachteile von Phagentherapien

Da die Phagentherapie gegenüber Antibiotika Vorteile mit sich bringt, ist sie seit mehreren Jahren wieder verstärkt in der Forschung zu finden. Dazu zählen u.a.

  • die Genauigkeit, mit der sie Bakterien befallen (und menschliche Zellen eben nicht)
  • dass es eine selbst-limitierende Behandlung ist – ist kein Wirt mehr vorhanden, so können sich die Phagen nicht mehr vermehren
  • sie vermehren sich direkt dort, wo die Infektion stattfindet – so treten keine oder nur kaum Nebenwirkungen auf
  • sollten Bakterien resistent gegenüber Phagen werden, entwickeln sich Phagen natürlicherweise von selbst weiter, um Bakterien wieder infizieren zu können.

Bei allen Vorteilen gibt es aber auch Nachteile, die nicht zu vernachlässigen sind:

  • Phagen werden von unserem Immunsystem als Fremdkörper erkannt und entfernt – eine Behandlung mit Phagen kann deswegen erschwert werden (weil die Phagen zu früh entfernt werden könnten)
  • die Herstellung der Phagen im Labor muss penibel genau sein – sonst könnten Zweitinfektionen durch Bakterien die Folge sein
  • Immunreaktionen könnten sehr stark ausfallen (Schock? Immungeschwächte Personen?) – auch hier könnten die Phagen zu früh entfernt und der menschliche Körper zu stark belastet werden

Das Phagendisplay – Phagen nutzen, um Proteine mit gewünschten Eigenschaften herzustellen

Phagen sind in der Lage, bestimmte Merkmale auf ihrer Oberfläche (der Proteinhülle, der Kopf) zu zeigen. Diese Merkmale können z. B. Antikörper sein, die bestimmte Stoffe (z. B. Bakterien) erkennen und diese dann festhalten.

Für jedes Bakterium kann im Labor ein bestimmter Antikörper produziert und auf den Phagen präsentiert werden. Die Phagen dienen einerseits der Präsentation, aber auch, um die geeigneten Antikörper besser aussortieren zu können. Früher waren für diese spezifischen Antikörper Tiere notwendig. Deren Immunsystem hat dann nach einer Infektion Antikörper gebildet. Im Blut dieser Tiere waren diese Antikörper dann vorhanden und konnten aus dem Blut aufgereinigt werden.

Das Phagendisplay wird heutzutage auch dazu verwendet, Antikörper gegen bestimmte Krebsarten zur Behandlung zu finden und zu produzieren.

Während der Corona-Pandemie haben Forscher aus Braunschweig mit dieser Methode Antikörper gegen Corona entwickelt, dass sich als Corona-Medikament derzeit in klinischer Studie befindet.

Biokontrolle mit Phagen – Schutz von Lebensmitteln

Wie wir Menschen, können auch Pflanzen mit Bakterien befallen sein. Diese können in der Landwirtschaft zu Ernteausfällen führen. So zeigen etwa infizierte Tomaten braune Stellen an ihren Früchten. Infizierte Tabakpflanzen haben welke Blätter und sind zur Weiterverarbeitung nicht geeignet.

Um diesen Ernteausfällen vorzubeugen, können Phagen eingesetzt werden, die die Bakterien abtöten. Diese Methode wurde u.a. bereits bei Pfirsichen, Kohl und Paprika erfolgreich angewendet.

Auch in industriell verarbeiteten Lebensmitteln kann die Bakterienmenge reduziert werden. Das ist besonders wichtig bei Lebensmitteln (und Bakterien), die beim Menschen Lebensmittelinfektionen hervorrufen können. Dazu zählen z. B. Salmonellen und Campylobacter auf Geflügelfleisch und Listeria monocytogenes in Fleisch und frisch geschnittenem Obst.

Mich interessiert heute:
Hast du schon mal was von Bakteriophagen gehört? Und wenn ja, wusstest du, dass sie so vielfältig genutzt werden können?

Lass mir gern einen Kommentar da – ich bin gespannt, wie bekannt Bakteriophagen so sind. In den nächsten Tagen wird dazu dann auch die Podcastfolge online gehen. Folg mir doch auf Instagram, um keine Informationen zu verpassen 🙂

Alles Liebe
Isabell

Was auf Instagram passiert 😉

Alle Quellen zum Beitrag findest du hier:

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