Zuletzt aktualisiert am 23. Mai 2024 von Isabell
Eigentlich ist die Vorstellung, sich näher mit seinem Stuhlgang zu beschäftigen, nicht das, was dir (oder mir) als Erstes in den Sinn kommt. Doch interessanterweise können wir genau mit diesem unliebsamen Abfallprodukt sehr viel über uns und die Aufgaben deiner Darmflora lernen.
Was also sind denn genau die Aufgaben unser lieben, kleinen Bakterien in unserem Darm? Ist es eine wichtige, oder doch zu vernachlässigende Funktion?
Table of Contents
- Von der Stuhlprobe zum Mikrobiom
- Vielfältige Aufgaben deiner Darmflora (im Wald der Bakterien)
- Von Symbiosen, Schutz und Aufgaben
- Das Unerreichbare erreichbar machen – unsere Nährstofflieferanten und Vitaminproduzenten
- Du kommst hier nicht rein – unsere Darmbakterien als Türsteher
- Mit einem guten Schutz geht alles besser – unsere intakte Schleimhautbarriere
- Alles im Lot auf’m Boot – Gleichgewichte in bester Ordnung
- Dämpfer für Entzündungen – Weiterverwertung von Gallensäuren
- Das Beste zum Schluss – die Zusammenfassung
Von der Stuhlprobe zum Mikrobiom
Vielleicht hast du dir die Frage gestellt, wie wir denn das alles über das Mikrobiom überhaupt wissen kennen. Denn unsere Darmbakterien befinden sich im Darm, und direkte Untersuchungen sind da nicht so einfach möglich.
Auch wenn diese Bakterien in unserem Darm zu finden sind, ein Teil des großen Ganzen findet auch immer einen Weg nach draußen – richtig: über unseren Stuhlgang 😉
Ja, ich kann deine Gedanken gerade förmlich hören – “Urgh! Nicht dein Ernst, das untersuchen sie?”
Um es kurz zu machen: Ja! Genau dieser Stuhlgang ist Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen, wenn es um das Mikrobiom geht. Und um etwas genauer zu verstehen, wie sie vom Kot zu Erkenntnissen des Mikrobioms kommen, hier ein kleiner Fahrplan.
Sequenzierung und Bioinformatik enthüllen die Geheimnisse
Dass die Mikrobiomforschung in den letzten Jahren so unglaublich vorankommt, liegt vor allem auch an zwei wissenschaftlichen Errungenschaften: die Analyse der DNA durch die Sequenzierung und die anschließende bioinformatische Auswertung.
Mithilfe der Sequenzierung schreddern wir quasi erstmal alle Informationen und analysieren die einzelnen Basen der DNA, um sie dann mit der Bioinformatik wieder zu einem brauchbaren Informationspaket zusammensetzen zu können.
Am Ende sind die Forscher dann in der Lage, aus dem Wust der Informationen die Bakterien zu nennen, die in der Stuhlprobe vorhanden sind. Denn jedes einzelne Bakterium hat einen ganz bestimmten Marker, mit dem er erkannt werden kann.
Das wäre in etwa so, als würde in einer großen Personengruppe jede Person einen ganz persönlichen Gegenstand in eine Schüssel geben. Selbst, wenn wir diese Gegenstände in kleinere Stücke zerkleinern würden, wir wären in der Lage, sie wieder zusammenzusetzen und sie einer Person zuzuordnen. So ungefähr verhält es sich mit der Sequenzierung (nur etwas komplizierter!)
Auf diese Weise war es möglich, dass das menschliche Genom (das riesengroß ist) innerhalb kurzer Zeit zu sequenzieren und die DNA-Abfolge zu bestimmen. Auch wenn Menschen ihn damals für verrückt hielten, durch die Beharrlichkeit von Craig Venter sind viele Untersuchungen heutzutage schnell und kostengünstiger als vor 20, 30 Jahren möglich.
Mit diesen einzigartigen Merkmalen der Bakterien lernen wir einerseits mehr darüber, wer da eigentlich mit uns wohnt. Andererseits können wir, in Kombination mit Metabolomics, da sich die Stoffwechselprodukte anschaut, genau sagen, welche Aufgaben deiner Darmflora entspringen.
Vielfältige Aufgaben deiner Darmflora (im Wald der Bakterien)
Im Einleitungsbeitrag zum Thema Mikrobiom bist du schon mit einigen Aufgaben deiner Darmflora in Berührung gekommen. Solltest du (natürlich neben meinem Beitrag hier 😉 ) Lust auf einen wirklich interessanten Beitrag über dieses Thema haben wollen, kann ich dir wirklich wärmstens den Beitrag auf Arte „Unser Bauch – die wunderbare Welt des Mikrobioms“ empfehlen.
Aus diesem Beitrag habe ich auch den „Wald der Bakterien“ geklaut. Ich persönlich fand diesen Vergleich so treffend und zugleich anschaulich (auch für Kinder, denn diese Bezeichnung ist bei meinem Kleinen in Erinnerung geblieben), dass ich sie hier gern aufgreife.
Dein Wald der Bakterien ist am gesündesten, wenn er eine Vielfalt an Bakterien aufweist. Und genau wie im Wald können Einflüsse von außen Auswirkungen auf deinen Bakterienwald haben. Vielleicht ist er dann sogar nicht mehr in der Lage, seinen Aufgaben nachzukommen.
Aber, welche Aufgaben hat denn nun unser Bakterienwald, das Mikrobiom?
Fun Fact: Mikrobiom wird im Deutschen eigentlich falsch verwendet, denn das Mikrobiom bezeichnet die Sammlung verschiedener Gene von Mikroben. Wir betrachten aber die Gesamtheit von Mikroben und müssten da eher von Mikrobiota sprechen.
Von Symbiosen, Schutz und Aufgaben
Wir mit unseren Bakterien, das ist eine seit langer Zeit gereifte Koexistenz, bei der mittlerweile jeder weiß, was er von dem anderen hat.
Wir sprechen hier auch von einer Symbiose, also einem Zusammenleben zweier unterschiedlicher Arten (also Mensch und Bakterium), mit Vorteilen für beide Seiten.
Die Vorteile, die wir den Bakterien geben können, sind eine geschützte Lebensumgebung, optimale Wachstumstemperaturen und Nahrung (also hoffentlich). Für diesen Schutz geben uns die Bakterien einiges zurück:
- Das Unerreichbare erreichbar machen – unsere Nährstofflieferanten und Vitaminproduzenten
- Du kommst hier nicht rein – unsere Darmbakterien als Türsteher
- Mit einem guten Schutz geht alles besser – unsere intakte Schleimhautbarriere
- Alles im Lot auf’m Boot – Gleichgewichte in bester Ordnung
- Dämpfer für Entzündungen – Weiterverwertung von Gallensäuren
Das Unerreichbare erreichbar machen – unsere Nährstofflieferanten und Vitaminproduzenten
Unsere Darmbakterien lieben Obst und Gemüse! Kein Scherz – ich schreibe das nicht, um dich zur gesunden Ernährung zu animieren (was auch ein ziemlich kläglicher Versuch gewesen wäre).
Vielmehr sind die guten Bakterien Meister darin, die Ballaststoffe, also die für uns unverdaulichen Pflanzenbestandteile, aufzuknacken, zu verwerten und für uns danach zur Verfügung zu stellen.
Diese Ballaststoffe sind quasi das Futter für die guten Bakterien. Aus diesen Ballaststoffen produzieren sie kurzkettige Fettsäuren (short chain fatty acids, SCFA). SCFA sind richtige Alleskönner und werden uns im Themenmonat noch häufiger begegnen. Zu den wichtigsten SCFA zählen Butyrat, Propionat und Acetat.
Diese SCFA sind gute Energiequellen, die erst durch die Bakterien für uns Menschen zugänglich werden. Ohne diese würden die Ballaststoffe einfach über unseren Stuhlgang unverrichteter Dinge wieder gehen.
Darüber hinaus gibt es aber noch eine weitere Eigenschaft, warum unsere Bakterien so richtig coole Socken sind! Denn einige der Darmbakterien sind in der Lage, Vitamine zu produzieren, die unser Körper selbst nicht herstellen kann.
Zu diesen Vitaminen zählen:
- Folsäure – wichtig bei Wachstumsprozessen (im ersten Trimenon!)
- Vitamin B1 (Thiamin) – unterstützt Muskeln und das Nervensystem
- Vitamin B2 (Riboflavin) – für den Energie- und Eiweißstoffwechsel
- Vitamin K – wichtig für Blutgerinnung
- Biotin – wichtig bei der Fettsäureherstellung und für Haut, Haare, Nägel
Du kommst hier nicht rein – unsere Darmbakterien als Türsteher
In einem gesunden Darm gibt es viele gute Bakterien, die sich gern als Gemeinschaft zusammenlagern. So entsteht eine flächendeckende Schicht guter Bakterien, die es krankmachenden Bakterien schwer macht, sich an die Darmschleimhaut anzuheften.
Aber, das ist nicht der einzige Schutz durch gute Bakterien. Denn sie produzieren zusätzlich noch Bakteriocine, die andere Bakterien (zum Beispiel S. aureus) in ihrem Wachstum hemmen können. Ein super Beispiel sind Laktobazillen, deren Eigenschaft wir für Sauerkraut zum Haltbarmachen nutzen.
Aber auch SCFA können das Wachstum von Pathogenen unterdrücken.
Zusätzlich werden noch Antikörper (IgA) gebildet, die sich wie eine Schutzschicht auf die guten Bakterien legen können und sie so vor dem Immunsystem schützen (wenn diese die krankmachenden Bakterien angreift). So werden die guten Bakterien nicht zum Kollateralschaden.
Mit einem guten Schutz geht alles besser – unsere intakte Schleimhautbarriere
Sich nur auf eine Schutzmaßnahme zu verlassen, ist riskant. Die Chance, gut aus einer Infektion herauszugehen, steigt mit einer weiteren Schutzbarriere.
Neben den guten Bakterien, die wie ein Teppich auf der Darmschleimhaut liegen (die Kolonisationsresistenz), ist die Darmschleimhaut selbst eine weitere Mauer, die von krankmachenden Keimen erst einmal überwunden werden muss.
Wie bei jeder Mauer ist hier regelmäßige Pflege und Überprüfung wichtig. Denn wenn die Mauer erst einmal Risse und Löcher hat, ist die Wirksamkeit stark beeinträchtigt. Ungefähr so verhält es sich mit der Darmschleimhaut. Die regelmäßige Pflege wird durch unsere guten Darmbakterien übernommen.
Die bereits erwähnten SCFA sorgen dafür, dass Zytokine (Botenstoffe unseres Immunsystems) gebildet werden. Diese Zytokine wiederum sorgen dann dafür, dass es den Zellen der Darmschleimhaut gut geht und sie repariert werden.
Alles im Lot auf’m Boot – Gleichgewichte in bester Ordnung
Durch Ungleichgewichte können Krankheiten entstehen. Durch ein dauerhaftes Ungleichgewicht im Glukose-Haushalt zum Beispiel kann Typ II Diabetes entstehen.
Durch Ballaststoffe, die durch unsere Darmbakterien in SCFA umgewandelt werden, wird u.a. Propionat gebildet. Dieses Propionat agiert als Vorstufe für Glukose im Darm. Es kann genutzt werden, um zwischen den Mahlzeiten notwendigen Zucker zu bilden. Dadurch kann der Zuckerhaushalt besser reguliert werden (weil der Effekt länger anhält als mit Industriezucker).
Außerdem regt das Propionat die Insulinproduktion an. Insulin wird benötigt, um Glukose in die Zellen zu transportieren. Durch den effektiveren Transport wird Glukose schneller aus dem Blut “entfernt” und die Blutzuckerwerte schießen nicht durch die Decke. Diabetes ist durch erhöhte Blutzuckerwerte gekennzeichnet, da die Patienten einen Mangel an Insulin oder eine reduzierte Insulinwirkung haben.
Dämpfer für Entzündungen – Weiterverwertung von Gallensäuren
Neueste Studien zeigen, dass die Gallensäuren, die von unserem Körper gebildet und zur Verwertung unserer Nahrung wichtig sind, auch von Bakterien genutzt werden können.
Dafür wandeln die Bakterien die Gallensäuren in Signalmoleküle um, die das Immunsystem beeinflussen. Dadurch wird das Immunsystem dazu gebracht, dass die guten Bakterien nicht angegriffen werden.
Würden Bakterien die Gallensäuren nicht zu Signalmolekülen umsetzen, so würde das Immunsystem die guten Bakterien und die darunter liegende Darmschleimhaut angreifen. Autoimmunerkrankungen und Entzündungen des Darms, wie etwa Morbus Crohn wären die Folge.
Das Beste zum Schluss – die Zusammenfassung
Was also verdanken wir unserem Wald aus Bakterien in unserem Darm? Ich würde sagen: Eine Menge! Kaum vorstellbar, wie es vielleicht ohne diese Mikroben wäre… Daher hier kurz und knackig die Aufgaben deiner Darmflora:
- mithilfe von Stuhlproben und Verfahren wie der Sequenzierung und der Bioinformatik ist ed möglich, dass wir mehr über unser Mikrobiom lernen
- Bakterien und wir leben in einer Symbiose; wir sind eine Gemeinschaft, aus der beide Seiten Vorteile haben
- Vorteile für Bakterien: sie haben Schutz, optimale Lebensbedingungen und ausreichend Nahrung
- Vorteile für uns:
- unerreichbare Nährstoffe und Vitamine sind für uns zugänglich
- Schutz vor krankmachenden Bakterien (Kolonisationsresistenz)
- gut gepflegte Schleimhautbarriere
- Gleichgewichtspflege durch SCFA – Erkrankungen wie Diabetes kann vorgebeugt werden
- Dämpfung von Entzündungen im Darm durch die Verwendung von Gallensäuren
Was hat dich bei den Aufgaben unserer Darmbakterien am meisten überrascht?
Im nächsten Blogbeitrag schauen wir uns dann einige wichtige Bakterienvertreter genauer an und welche Besonderheiten sie so mitbringen.
Bis dahin, bleib gesund!
Deine Isabell
Dieser Beitrag ist Teil der Reihe “Im Fokus – Mikrobiom“.
Literatur:
Danke für die tolle Zusammenfassung! Ich beschäftige mich nur mit der Bioinformatik, deshalb hab ich, was die Hintergrundinfos zum Mikrobiom angeht, noch ein paar Wissenslücken. Ein paar davon konnte ich mit diesem Beitrag schon schließen ;).
… und wenn, wie so oft, jemand nicht versteht, was ich überhaupt mache, kann ich jetzt immer auf den ersten Teil dieses Beitrags verweisen :D. Super erklärt!
Liebe Sabrina,
Also “nur” mit der Bioinformatik würde ich da nicht sagen – da gibt es bestimmt richtig Spannendes, was du über das Mikrobiom erfährst!
Aber es freut mich natürlich sehr, wenn du durch meine Beiträge auch Einblicke in die andere Seite bekommst 🙂 Einige wirklich interessante
Themen werden ja noch kommen 😉 Danke dir für dein Feedback.