E. coli – die 2 faszinierenden Gesichter des Darmbakteriums

Zuletzt aktualisiert am 17. Juni 2022 von Isabell

Escherichia coli – wir können nicht ohne dieses Bakterium leben, aber manchmal auch nicht mit. Denn E. coli, so sein Spitzname, ist ein gleichzeitig hilfreiches wie auch lästiges Bakterium. Es ist in der Lage, verschiedene “Gestalten” durch neue Eigenschaften anzunehmen und gehört somit – zumindest für mich – zu einem der faszinierendsten Bakterien überhaupt.

Du bist dir noch unschlüssig, was ich meine? Dann lies weiter und ich beantworte dir in diesem Blogbeitrag die wichtigsten Einstiegsfragen zu Escherichia coli:

Wie kann es sein, dass E. coli zugleich Freund und Feind ist? Was macht E. coli so besonders? Warum gilt es als das “Arbeitspferd” in der Forschung? Welche Medikamente lassen sich heutzutage mit E. coli herstellen?

Falls du nun noch neugieriger geworden bist, dann gehts hier nun los 🙂 Ich freue mich schon, dir mein Labor”tierchen” vorstellen zu dürfen!

Zunächst ein paar Fakten zu Escherichia coli

E. coli ist ein gramnegatives Bakterium. Frischhaltefolie ist etwa 12x so dick, wie E. coli groß ist! Das ist aber nur ein Durchschnittswert, denn je nach Umgebungsbedingungen kann diese Größe abweichen.

Die erste Flexibilität zeigt sich schon beim Sauerstoff. E. coli kann nämlich mit Sauerstoff super leben, schafft es aber auch ohne. E. coli sind fakultative Anaerobier (für alle, die auf Fachbegriffe stehen 😉 ). Und das ist auch nicht verwunderlich, finden wir E. coli als dauerhaften Bewohner in unserem Darm. Unser Darm stellt keinen Sauerstoff bereit, und doch finden wir dort etwa 2 kg Bakterien, die dort munter vor sich hin leben!

Das Geniale an dieser ganzen Menge Bakterien in unserem Darm ist, dass sie unseren Darm durch ihre Anwesenheit schützen. Sie bilden nämlich wie eine Art Schutzschicht und geben krankmachenden Bakterien (hoffentlich) keine Chance, sich an die Darmwand anzuheften. Dieses Phänomen wird Kolonisationsresistenz genannt.

Wir finden E. coli aber nicht nur in unserem Darm, sondern auch bei anderen Warmblütern. Dazu zählen auch Tiere wie etwa Wiederkäuer (die dann auch gern Wirt für krankmachende E. coli sein können. Aber dazu später mehr.

Wir wir beim Wachstum von Bakterien schon gesehen haben, gibt es schnell und langsam wachsende Bakterien. E. coli zählt definitiv zu den schnellwachsenden Exemplaren! Innerhalb von 20 Minuten (unter optimalen Bedingungen) wird aus einer E. coli-Zelle zwei. Nach weiteren 20 Minuten sind es dann schon vier Bakterienzellen usw. Innerhalb von etwa 7 Stunden ist dann aus einem einzigen Bakterium bis zu einer Million davon geworden!

Die wichtigsten Fakten zu E. coli

E. coli als Freund und Helfer

Einen positiven Einfluss von E. coli auf uns Menschen haben wir ja bereits beleuchtet. Aber es gibt noch viele weitere!

Seit jeher ist dieses Bakterium durch seine einfache Handhabung ein idealer Modellorganismus, mit dem sämtliche Forschungen durchgeführt wurden. Das schnelle Wachstum, die geringen Ansprüche an das Nährmedium (die auch noch verhältnismäßig günstig sind) und die Möglichkeit, dass dieses Bakterium auch in riesigen Gefäßen wachsen kann, sind nur einige Vorteile dieses Organismus.

In der Forschung gibt es verschiedene Fragestellungen und auch verschiedene Erscheinungsformen von E. coli. Ziemlich praktisch, denn nicht in jedem Labor darf zum Beispiel mit Bakterien gearbeitet werden, die den Menschen krank machen (sogenannte S2-Labore). Wollen Forscher aber dennoch E. coli und seine Vorteile nutzen, können sie einfach auf eine harmlose Variante von E. coli zurückgreifen, der keine Erkrankung auslöst. Das kann aber auch in Schülerlaboren nützlich sein, denn die Labormethoden selbst durchführen mit richtigen Proben ist einfach deutlich spannender und lehrreicher, als nur Wasser zu pipettieren!

Wegbereiter für die Erforschung vieler grundlegender Mechanismen

Diese ganzen Vorteile haben E. coli zu dem Arbeitstier in der Forschung gemacht. So wurden viele grundlegende Mechanismen in der Molekularbiologie mithilfe dieses Bakteriums untersucht und auch verstanden. Dazu zählen zum Beispiel die Entschlüsselung des genetischen Codes, die Funktionsweise der DNA-Replikation, das Verständnis des Operons, wie Mutationen entstehen und wie sich die Evolution von Organismen abgespielt haben könnte.

Die Forschung an und mit E. coli war in den 1940/50er Jahren sehr intensiv. Hier sind zum Beispiel die Untersuchungen von Lederberg und Tatum zu nennen. Sie fanden durch ihre Experimente heraus, dass sich Bakterien nicht nur durch Zweiteilung, sondern auch durch geschlechtliche Vermehrung fortpflanzen können. Durch die Transduktion können Bakterien ihre Plasmide von einem auf das andere Bakterium übertragen. Plasmide sind ringförmige DNA-Moleküle, die z.B. Informationen zu Resistenzen enthalten können. Sie können sich zusätzlich zum Bakterienchromosom in der Bakterienzelle befinden, sind also extrachromosomal.

1958 erhielten die beiden Forscher zusammen mit G. W. Beadle den Nobelpreis für Medizin.

Erst 2020 erhielten Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna einen Nobelpreis für die Entdeckung des Immunsystems bei Bakterien, dem CRISPR/Cas-System, das sie anschließend als Labormethode zur gezielten Veränderung der DNA von Bakterien einsetzen konnten.

Gentechnisch veränderte E. coli als Produktionsstätte

E. coli ist in der Lage, neue Informationen relativ leicht in sich aufzunehmen. Dadurch ist es ein wirklich erstaunliches und wandelbares Bakterium. Diese Fähigkeit haben sich Forscher seit spätestens der 1970er Jahre zu nutze gemacht, um Substanzen durch Bakterien produzieren zu lassen.

Wie kann das aussehen? Das können wir uns am Beispiel von Insulin anschauen.

Insulin ist ein Hormon, dass wir benötigen, um unseren Blutzuckerspiegel konstant zu halten. Ohne Insulin ist Zucker für unsere Zellen nicht zugänglich und die Zellen “hungern”. Dass wir Insulin brauchen, damit alles reibungslos funktioniert, dass fanden Frederick Banting und John MacLeod bereits Anfang des 20. Jahrhunderts heraus. 1923 dann erhielten sie für ihre Entdeckungen den Nobelpreis.

Dorch zu dieser Zeit konnte Insulin nur aus den Bauspeicheldrüsen von Schweinen oder Rindern gewonnen werden. Viele Tiere starben dadurch und das Insulin wirkte zwar, führte aber auch oft zu Nebenwirkungen. Denn das Insulin von Mensch und Schwein ist zwar ähnlich, aber nicht identisch. Und diese Abweichungen sind für unseren Körper problematisch und werden als fremd erkannt.

Seit mehr als 20 Jahren ist es möglich, Escherichia coli für die Produktion von menschlichen Insulin zu nutzen. Insulin ist ein Protein, dass aus einzelnen Aminosäuren aufgebaut ist. Die Reihenfolge der Aminosäuren ist dabei für Insulin charakteristisch. Damit nun Aminosäuren gebildet und das gesamte Protein produziert werden kann, braucht es den Bauplan dafür. Und diesen finden wir auf der DNA.

Geben wir nun also die DNA-Sequenz in das Bakterium (es handelt sich dann um ein gentechnisch veränderten Organismus oder GVO), so “liest” das Bakterium diese Bauanleitung, stellt die Aminosäuren in richtiger Reihenfolge her und baut diese dann zum Protein Insulin zusammen. Noch ein paar anschließende Anpassungen und Aufreinigungen und das Insulin ist fertig.

Was wir dafür brauchen?
Grob genommen die genaue DNA-Sequenz von Insulin, Escherichia coli, einen großen Rührkessel und das Nährmedium für die Bakterien. Aber keine Bauchspeicheldrüsen von Schweinen mehr!

Weitere Beispiele für durch E. coli produzierte Stoffe

Insulin ist eines der bekanntesten Beispiele für Stoffe, die durch Bakterien produziert werden. Neben
E. coli werden noch andere Bakterien und auch Pilze genutzt, um Stoffe produzieren zu lassen. Das können wir uns gern mal in einem gesonderten Blogbeitrag anschauen. Heute soll es nur um einige Produkte gehen, die durch E. coli gebildet werden.

Weitere Medikamente, die wir zur Behandlung verschiedener Krankheiten nutzen, sind z.B.

  • Interferon Alpha 2a zur Behandlung von Leukämie
  • Interferon ß-1b gegen Multiple Sklerose oder
  • humanes Nebenschilddrüsenhormon gegen Osteoporose

Neben Medikamenten können aber auch andere Substanzen hergestellt werden. Weitere Beispiele, die ich hier nennen möchte, ist das Geraniol und Ambra. Beide Substanzen werden in der Parfüm-Industrie benötigt. Geraniol ist ein nach Rosen riechender Duftstoff, der mithilfe unseres Bakterium gebildet wird. Früher musste diese Substanz aus vielen Pflanzen extrahiert werden, heute geht das im Labor.

Ambra, die wachsartige Substanz aus dem Verdauungstrakt des Pottwals, wurde früher für die Parfümherstellung verwendet (und wird es wohl heute noch bei einigen teuren Parfüms). Mithilfe von Bakterien können Alternativen zu Ambra geschaffen werden, die den Einsatz von Ambra und damit das Töten der Pottwale unnötig macht.

Produkte, die in E. coli hergestellt werden

E. coli als Feind

Jede Medaille hat zwei Seiten und so auch unser Bakterium Escherichia coli. Wie ich bereits erwähnt habe, ist es ein sehr wandelbares Bakterium, da es neue, zusätzliche Informationen aufnehmen kann.

Genau so verhält es sich bei den krankmachenden (pathogenen) Formen von E. coli. Hier werden Plasmide (sogenannte Pathogenitätsinseln) oder die DNA von Bakteriophagen aufgenommen, wodurch sie Eigenschaften erhalten, die uns schädigen. Das können Giftstoffe sein oder eine besondere Anheftkraft an unsere Darmzellen.

Pathogene E. coli im Darmtrakt

Es gibt 6 verschiedene Erscheinungsformen von krankmachenden E. coli im Darmtrakt. Bei jedem Typ handelt es sich um einen E. coli, der eine ganz eigene neue Eigenschaft hat. Die Krankheitsbilder und wie uns diese Bakterien krank machen, sind sehr vielfältig und würde den heutigen Rahmen sprengen. Daher gibt es hier heute eine kurze Übersicht mit den wichtigsten Fakten.

TypAbkürzungKrankheitAbkürzung
enteropathogene E. coliEPECwässriger Durchfall und Erbrechen bei Kindern1945 großer Ausbruch in Großbritannien; heutzutage bei Kindern in Entwicklungsländern
enteroinvasive E. coliEIECwässriger Durchfall (Dysenterie)
enteroaggregative E. coliEAECschleimiger Durchfall bei Kindern; mit Erbrechenhaften besonders stark an den Darmwänden
enterotoxigene E. coliETECwässriger Durchfall mit Erbrechenoft Reisekrankheit
adhärente invasive E. coliAIEChartnäckige Entzündung des Darms
enterohämorrhagische E. coliEHEC(blutiger) Durchfall bis hin zum Nierenversagen1982 erstmalig beschrieben nach einem Ausbruch mit kontaminierten Hamburgern

Neben den pathogenen Erscheinungsformen, die den Darm betreffen, gibt es noch drei weitere Formen von pathogenen E. coli außerhalb des Darmtraktes. Dazu zählen die uropathogenen E. coli (UPEC), die Blasen- und Nierenentzündungen verursachen. Forscher gehen davon aus, dass etwa 80 % der unkomplizierten Harnwegsinfektionen durch UPEC verursacht werden!

Eine weitere, sehr tückische Form sind die Neugeborenen-Meningitis-assoziierten E. coli (NMEC). Während der Geburt oder in den ersten Lebenswochen können sich Neugeborene infizieren. Hirnhautentzündungen und Blutvergiftunge sind die Folge, die bei einem noch nicht ausgeprägten Immunsystem schwere Schäden anrichten können.

Darüber hinaus gibt es auch E. coli, die für Geflügel gefährlich sein können. Die aviär pathogenen E. coli (APEC) lösen dabei systemische Erkrankungen im Geflügel aus.

Und weil diese ganze Vielfalt noch nicht reicht, kommen zusätzlich noch Resistenzen bei diesem Bakterium hinzu. Das kann mitunter soweit gehen, dass drei oder vier verschiedene Antibiotika unwirksam sind. Aber auch hier verweise ich gern auf zukünftige Artikel, da das ein sehr spannendes, aber großes Thema ist.

Wo Licht, da ist auch Schatten. Dieser Satz trifft auf E. coli wahrlich zu. Erkrankungen mit diesem Bakterium können einen schweren und schlechten Verlauf nehmen. Die gute Nachricht: Oft sind diese Erkrankungen behandelbar. Gerade bei früher Diagnose schlagen Therapien meist gut an. Wie bei vielen bakteriellen Infektionen gilt auch hier: Eine gute Hygiene vor Verzehr von Lebensmitteln kann schon viel dazu beitragen, dass wir uns mit diesen Formen gar nicht infizieren.

Bei all dem Schatten möchte ich aber definitiv auch die Vorteile der harmlosen Formen hervorheben. Mit ihrer Hilfe ist es uns möglich, einerseits Menschenleben zu retten und unnötiges Tierleid zu vermeiden. Auch konnten mit ihrer Hilfe schon viele Rätsel der Molekularbiologie gelöst werden. Diese Erkenntnisse haben einen immensen Beitrag zu unserem heutigen Verständnis und darauf aufbauenden Technologien geleistet. Denken wir da an die vielen Nobelpreise, die diese Arbeit würdigen und ihre Wichtigkeit betonen.

Dieser Artikel soll einen ersten groben Eindruck von der Vielfältigkeit von Escherichia coli geben. Dich interessiert eine Thematik ganz besonders? Dann würde ich mich sehr freuen, wenn du mir einen Kommentar dazu schreibst.

Ich hoffe, dass ich dir neue Eindrücke mitgeben konnte und freue mich, wenn du auch bei meinen nächsten Beiträgen dabei bist. Bis dahin lies dich gern durch die bisher erschienen Themen 😉

Alles Liebe
Isabell

Quellen/Literatur:

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