Virulenzfaktoren: Wie machen Bakterien uns eigentlich krank?

Hast du dich jemals gefragt, wie so kleine Organismen wie Bakterien es schaffen, uns Menschen krank zu machen? Sie sind nur ein winzig kleiner Bruchteil von dem, was wir sind. Einfach aufgebaut, schnell vermehrt und winzig klein. Dennoch haben sie uns Menschen manchmal fest im Griff!
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In diesem heutigen Beitrag soll es um die Frage gehen, wie es Bakterien eigentlich schaffen, dass wir krank werden. Denn hier stehen wir vor einem kleinen “Problem”. Wir erinnern uns, dass Bakterien per se auch gut sein können und sie uns in unserem täglichen Sein sogar unterstützen. Wie kann es also sein, dass es Bakterien gibt, die zu vielen Krankheiten im Menschen führen?
Die kurze Antwort: Bakterien sind clever und unterstützen ihre Infektion unseres Körpers mit sogenannten Virulenzfaktoren.

Von Virulenz und Virulenzfaktoren

Bevor uns genau anschauen, wie Bakterien uns krank machen können, müssen wir erst einmal ein paar Begriffe klären. Ja, ich versuche es anschaulich zu erklären, aber manchmal müssen ein paar coole Wörter her 😉

Also, wenn ein Bakterium uns Mensch infizieren kann und daraus eine Krankheit entsteht, dann sprechen wir von Virulenz.

Wir wissen, dass wir guten Bakterien ein dauerhaftes Zuhause in und auf uns geben. Unser Körper erkennt sie zwar als fremd, aber wir werden nicht krank. Also müssen krankmachende oder pathogene Bakterien Eigenschaften besitzen, auf die unser Körper anspringt und als Alarmsignal deutet.

Virulenzfaktoren sind wie die Werkzeuge in einem Werkzeugkoffer

Diese Eigenschaften nennen wir Virulenzfaktoren. Sie unterstützen das Bakterium dabei, dass eine Infektion besser klappt, sie uns also besiedeln und sich festsetzen können. Dieses Festsetzen kann bei jeder Bakterienart ganz unterschiedlich aussehen. Wie wir schon häufig festgestellt haben, sind Bakterien Spezialisten darin, sich anzupassen.

Je nachdem, wo sie es gemütlich bei uns finden, brauchen sie auch verschiedene Mittel, um ihr Ziel zu erreichen.

Du kannst es dir ein bisschen so vorstellen, als hätten sie eine große Werkzeugkiste mit vielen unterschiedlichen Werkzeugen. Um ein Stück Holz anzusägen, wirst du nicht mit einem Hammer arbeiten. Genauso wenig wirst du keinen Nagel mit einem Cuttermesser in die Wand bringen.

Aber auch hier hat jeder Handwerker seine Vorlieben und wird auf etwas unterschiedlichen Wegen zu seinem Ziel kommen.

Für unterschiedliche Maßnahmen brauchen wir unterschiedliche Hilfsmittel. Und genauso verhält es sich bei den Bakterien. Unterschiedliche Bakterien, unterschiedliche Methoden, unterschiedliche Werkzeuge.

Mit welchen Mitteln uns Bakterien krank machen können

Hast du früher als Kind Risiko gespielt? Ohne Strategie geht hier nicht viel. Erfolgreich waren meist die, die es verstanden haben, eine gute Balance aus Angriff und Verteidigung zu finden.

Ungefähr so ist es auch für Bakterien. Nur Angriff, das wird nicht funktionieren. Denn unser Körper ist kein Land, was sich einfach so erobern lässt. Und so wird unser Immunsystem auf vielfältige Weise den Eindringlingen etwas entgegensetzen.

Dementsprechend benötigen Bakterien, neben dem Angriff, auch Methoden, um sich vor Angriffen unseres Immunsystems zu schützen.

Bakterien sind also gleichermaßen Angreifer und Verteidiger. Erfolgreiche Bakterien sind auch hier diejenigen, die sich geschickt mit unserem Immunsystem auseinandersetzen.

Deswegen schauen wir uns nun mal genauer an, was Bakterien alles so unternehmen, um sich bei uns Menschen ausbreiten zu können.

Bakterien als Angreifer

Wie wir gesehen haben, gibt es ganz unterschiedliche Werkzeuge, die Bakterien für eine Infektion nutzen können.

Diese Werkzeuge können aus unterschiedlichen Gründen eingesetzt werden. So brauchen sie Virulenzfaktoren, um sich an unsere Zellen anheften zu können. Warum das wichtig ist? Weil unser Körper seine eigenen Schutzmaßnahmen hat, um Krankheitserreger abzuwehren. Dazu zählen zum Beispiel die kleinen Härchen in unserer Nase oder auch der saure pH-Wert der Vagina.

Wie Bakterien sich an unsere Zellen heften

Daher brauchen Bakterien Möglichkeiten, diese natürlichen menschlichen Gegebenheiten zu umgehen. Die Virulenzfaktoren, die sie für die Anheftung an unsere Zellen benötigen, werden Adhäsine genannt.

Zu den Adhäsinen gehören die sogenannten Fimbrien. Das waren die kleinen “Haare” rund um ein Bakterium herum. Diese können fast so lang wie das Bakterium werden!

Fimbrien sind Zuckerstoffe, die auf der Oberfläche der Bakterien wie eben Haare rundherum verteilt sind. Vermutlich kannst du dir das so wie ein stark behaartes Männerbein vorstellen 😉

Mit diesen Fimbrien können Bakterien eine oder mehrere Strategien verfolgen:

  • Sie können die Fimbrien nutzen, um Biofilme auszubilden. Dafür können sie sich an die Zellen, aber auch an gleichgesinnte Bakterien anheften. Sie bilden so einen großen Klumpen und überziehen sich selbst noch mit einer schleimigen Schutzschicht. Kaum möglich, in diese Festung einzudringen!
  • Wie die Fimbrien aufgebaut sind, können Bakterien bis zu einem gewissen Grad an die Umwelt anpassen. Dadurch verändern sie ihr “Aussehen” an der Oberfläche und entgehen so für einen Moment unserem Immunsystem.
  • Sie binden an unsere Zellen und aktivieren unser Blutgerinnungssystem. Sobald die Blutgerinnung in Gang gesetzt wurde, wird das gebildete Fibrin (was normalerweise eine Wunde verschließt) zerstört und die Blutgerinnung wird gestört.

Manchmal dringen Bakterien auch in menschliche Zellen ein

Eng mit dem Anheften ist bei vielen Bakterien auch der Einfall in die Zellen, die Invasion, verknüpft. Es gibt Bakterien, denen ein Anheften reicht. Andere Bakterien haben sich darauf spezialisiert, innerhalb der menschlichen Zellen ihren Schaden anzurichten. So können Bakterien der Abwehr auf den Schleimhautoberflächen entkommen.

Die Stoffe, damit Bakterien in die Zellen eindringen können, werden Invasine genannt.

Das sind oft Enzyme, die das Gewebe auflockern oder gar zerstören, damit Bakterien von außen in die Zellen eindringen können. Auch die Verbindungen zwischen den Zellen kann aufgelockert werden, damit anschließend zwischen den Zellen hindurch in tiefere Gewebeschichten geschlüpft werden kann.

Eine weitere Möglichkeit ist es, einfach das zu nutzen, was die Zellen von sich aus schon anbieten. Um Stoffe von außen aufzunehmen, haben Zellen oft Aufnahmemechanismen entwickelt. Diese können Bakterien dann einfach nutzen und als Fahrgelegenheit ins Innere der Zelle nutzen, ohne selbst Energie aufbringen zu müssen.

Die Art des Eindringens ist dabei, wie so oft, stark vom Bakterium abhängig.

Vergiften, um zum Ziel zu gelangen

Einige Bakterien haben auch noch eine andere Strategie, um zu ihrem Zielort zu gelangen. EHEC zum Beispiel, ein Bakterium, das eine EHEC-Infektion auslöst, nutzt Giftstoffe, um die Zellen des Wirtes zu zerstören. Diese Giftstoffe werden Toxine genannt.

Diese Toxine können ganz unterschiedliche biologische Wirkungen im menschlichen Körper haben. Wie wir bereits gesehen haben, können Toxine Zellen zerstören oder absterben lassen. Sie können aber auch dazu führen, dass sich im Gewebe Wasser einlagert. Die Wirkung der Toxine unterstützt die Bakterien in ihrer Infektion und fördert, dass sich die Bakterien weiter ausbreiten können.

Ein Toxin, von dem du vielleicht schon mal gehört hast, ist das Botulinumtoxin. Das wird durch das Bakterium Clostridium botulinum gebildet und wird durch kontaminierte Lebensmittel, wie z.B. Wurst oder Honig, aufgenommen. Das Botulinumtoxin ist ein hochwirksames Nervengift und führt zur Lähmung der Muskulatur. Deswegen ist besonders bei Säuglingen Vorsicht geboten (kein Honig bei Kindern unter 1 Jahr!), da dieses Toxin zum Ersticken führen kann.

Heutzutage wird das Botulinumtoxin als Botox in der kosmetischen Chirurgie verwendet oder auch, um Krankheiten zu behandeln.

Eine Vermutung ist, dass diese Bakterien so versuchen, eukaryotische Lebewesen schnell zu töten, damit die Nahrungsquelle nicht weiter weggenommen wird.

Bakterien als Verteidiger

Angriff allein ist nicht immer die beste Strategie. Denn unser Immunsystem hat sich gute Methoden überlegt, um seine Eindringlinge in Schach zu halten. Da die Beziehung zwischen Krankheitserregern und unserem Immunsystem immer ein Katz- und Maus-Spiel ist, haben Bakterien ihrerseits wieder Wege gefunden, um diesen Angriffen des Immunsystems gekonnt aus dem Weg zu gehen.

Abwechslung, Abwechslung, Abwechslung in den Virulenzfaktoren

Unser Immunsystem erkennt Krankheitserreger im besten Fall als fremd, da sie besonders Merkmale auf ihrer Oberfläche tragen. Das beginnt schon mit der Zellhülle der Bakterien. Bei gramnegativen Bakterien besitzt die Oberfläche eine immunogene Wirkung, das heißt unsere Immunabwehr wird aktiviert.

Die Oberfläche ist aus einem Lipopolysaccharid aufgebaut und wird LPS abgekürzt. Dieses LPS ist auch unterschiedlichen Zuckermolekülen aufgebaut. Drei bis sechs von diesen Zuckermolekülen bilden eine Einheit, das sogenannte O-Antigen.

Das LPS ist der Grund dafür, dass wir bei bakteriellen Infektionen mit Fieber reagieren. Unser Körper erkennt das LPS als fremd und wird Fresszellen losschicken und auch Antikörper zur Bekämpfung bilden.

Um diesem Angriff zu entgehen, können Bakterien diese O-Antigene variieren. So können die Zuckermoleküle, die eine Einheit bilden, unterschiedlich sein (in Anzahl und Art). Und auch, wie viele Einheiten aneinander gehängt werden, kann variabel sein.

Somit ergibt sich eine sehr hohe Vielfalt, auf die unser Immunsystem erst einmal reagieren muss.

Das O-Antigen kann also in seiner Länge unterschiedlich sein. Mit einem langen O-Antigen hat das Bakterium sogar die Chance, unsere Immunabwehr auf Abstand zu halten, sodass Stoffe des Immunsystems nicht an der Zytoplasmamembran der Bakterien angreifen können!

In der Diagnostik wird das O-Antigen genutzt, um das Bakterium genau zu bestimmen. Wir haben gelernt, dass diese O-Antigene sehr vielfältig sein können. Manchmal ist es wichtig, das genaue Bakterium mit seinen Eigenschaften kennen, da es durchaus auch der Übeltäter für einen Ausbruch sein kann.

Kapseln und Schleimstrukturen als eine Art Tarnumhang

Eine andere Möglichkeit ist es, sich für das Immunsystem unsichtbar zu machen. Das ist in etwa so, wie wenn Harry seinen Tarnumhang umlegt und für alle anderen in seiner Umgebung nicht sichtbar ist.

Bakterien nutzen dafür eine Kapsel aus vielen Zuckern, die eine schützende Hülle um sie herum bildet. Dadurch sind die Bakterien von außen genauso geladen wie die Fresszellen des Menschen und können viel, viel schwerer aufgenommen und entfernt werden.

Sie können dadurch aber auch ihre Oberfläche so anpassen, dass der Körper denkt, es würde sich um körpereigene Zellen handeln. Als Folge werden sie nicht als fremd erkannt und auch nicht vom Immunsystem angegriffen.

Auch die Biofilmbildung ist eine Art von Schutz gegenüber dem Immunsystem. Wir erinnern uns, der Biofilm war die Zusammenlagerung von Bakterien zu einem großen Haufen, der zudem durch eine Schleimschicht geschützt ist. Dadurch sind die Bakterien besonders gut vor Antibiotika, Fresszellen und Antikörpern geschützt.

“Scheren”, um schädigende Stoffe zu zerstören

Bakterien können Enzyme produzieren. Enzyme kannst du dir als spezialisierte Scheren vorstellen, die immer nur ganz bestimmte Substrate zerschneiden. Und da es viele verschiedene Materialien gibt, die zerschnitten werden können, gibt es auch viele verschiedene Enzyme.

Der Körper bildet Antikörper, um den Körper ganz gezielt von Krankheitserregern zu befreien. Bakterien wiederum sind in der Lage, diese besonderen Antikörper zu zerschneiden. Dafür nutzen sie IgA-Proteasen. IgA bezeichnet die Antikörper, die wir in unseren Körperflüssigkeiten finden. Antikörper bestehen aus Eiweißen, also Proteinen. Proteasen sind besondere Enzyme, die Proteine zerschneiden.

Eine weitere Möglichkeit, Bakterien zu entfernen, wird durch die Fresszellen möglich. Diese nutzen sehr reaktive Sauerstoffradikale, die die Proteine oder die DNA der Bakterien zerstören. Bakterien haben sich angepasst, indem sie mitunter Enzyme produzieren können, die diese Sauerstoffradikale zerstören.

Bakterien können aber auch besondere Enzyme besitzen, die die beschädigten Proteine oder DNA reparieren, damit die Bakterien nicht absterben.

Wir halten also fest…

  • Virulenz: Bakterien infizieren uns Menschen und machen uns krank – eine Krankheit entsteht
  • mit Virulenzfaktoren schaffen es Bakterien, dass eine Infektion besser gelingt und sie sich festsetzen können
  • es gibt ganz unterschiedliche Virulenzfaktoren – sie sind wie die Werkzeuge eines Werkzeugkoffers
  • Bakterien verfolgen zwei Strategien: Angriff und Verteidigung
  • Bakterien als Angreifer: Sie benutzen Virulenzfaktoren, die das Anheften (Adhäsine), das Eindringen (Invasine) und das ausbreiten durch Toxine möglich machen
  • Bakterien als Verteidiger: Mit diesen Maßnahmen umgehen sie die Immunantwort unseres Körpers. Dazu zählen
    • Abwechselung durch Variation der O-Antigene (Bestandteil der LPS, das von unserem Immunsystem als fremd erkannt wird)
    • Kapseln und Schleimschichten – der “Tarnumhang”
    • Enzyme, um schädigende Stoffe zu zerstören – spezialisierte “Scheren”


Welchen Virulenzfaktor der Bakterien findest du besonders interessant?
Lass mir gern einen Kommentar weiter unten da 🙂
Für mich sind es definitiv die Toxine. Wahrscheinlich auch, weil ich tagtäglich im Labor damit arbeite 😉

Alles Liebe
Isabell

Die Quellen zu diesem Blogbeitrag findest du hier:

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