PolyHydroxyAlkanoate – Wie aus Bakterien Bioplastik wird

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Gastbeitrag von und mit Sabrina Hofmann

Bakterien, Biotechnologie und Bioplastik: Die Wissenschaftlerin Sabrina Hofmann berichtet über eine praktische und spannende Anwendung von Bakterien, die hoffentlich in Zukunft einen Beitrag zur Nachhaltigkeit liefern kann.

Dieser Artikel von Sabrina bildet den Abschluss des Themenmonats “Biotechnologie” und ist Teil der Gastbeitragsreihe.


Dass es Bakterien gibt, die Plastik abbauen können, habt ihr vielleicht schon mal gehört oder gelesen. Aber nicht nur als Kunststoffvernichter sind die Einzeller vielversprechend – auch als Plastikproduzenten könnten sie dazu beitragen, unser Leben in Zukunft nachhaltiger zu gestalten.

Puh, Bakterien dazu zu bringen, „Kunststoff“ zu produzieren, klingt nach einer riesen Herausforderung, denkt ihr sicher …

… Aber nein – wieder einmal erweisen sich die Mikroorganismen als wahre Alleskönner und haben uns einiges voraus: Lange bevor wir auf die Idee gekommen sind, Kunststoff für uns zu nutzen, haben Bodenbakterien seine Vorteile erkannt. Direkt unter unseren Füßen, für uns unsichtbar, wird nachhaltiger Kunststoff (Bioplastik) produziert. Dieses Wunder der Natur wurde im Jahre 1926 von dem französischen Mikrobiologen Maurice Lemoigne entdeckt. Aus dem Bodenbakterium Bacillus megaterium isolierte er erstmals das Polymer PHB (Polyhydroxybutyrat) und hat somit den am einfachsten aufgebauten Vertreter einer gesamten Stoffklasse – den PHAs (Polyhydroxyalkanoaten) – entdeckt.  

Warum Bakterien PHAs herstellen

Hohe Flexibilität, Langlebigkeit und Stabilität – das sind nur einige der Eigenschaften, die Kunststoffe zu einem für uns unverzichtbaren Material werden lassen, das aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken ist. Aber welchen Nutzen hat die Plastikproduktion für Bakterien, die ihr Leben sicher auch ohne Plastikverpackungen und Co. gut meistern ;)? Sie machen sich eine andere Eigenschaft zunutze: die Fähigkeit, in Form von chemischen Bindungen des Polymers Energie zu speichern. Man könnte auch sagen, dass das PHA den Mikroorganismen als „Fettpolster“ dient.

Liegen bestimmte Voraussetzungen in der Umgebung vor, die dem Bakterium Nährstoffknappheit signalisieren, beginnt es mit der Plastikproduktion als Energiereserve, um für schlechte Zeiten gerüstet zu sein. Sind die Nährstoffe in der Umgebung dann vollständig aufgebraucht, kann es seine PHA-Vorräte wieder abbauen, die darin gespeicherte Energie für seine Stoffwechselprozesse nutzen und somit sein Überleben sichern.

Mikroskop-Aufnahme eines Bakteriums, das PHA eingelagert, aus dem Bioplastik hergestellt wird
Eine Mikroskopaufnahme des Bodenbakteriums Cupriavidus necator: Die weißen Kügelchen stellen das eingelagerte PHA dar. Unter Idealbedingungen im Labor kann PHA bis zu 90 % der gesamten Zellmasse ausmachen [1].

Aus der Natur ins Labor: PHA-Produktion im Bioreaktor

Zu wissen, dass Bakterien Tag für Tag eine ganze Menge Bioplastik auf- und wieder abbauen ist sicher faszinierend – nützt uns bei der Bewältigung unseres Plastikproblems aber erstmal nicht viel. Zum Glück machen sich seit seiner Entdeckung eine Menge kluger Köpfe Gedanken, wie wir das Talent dieser Mikroorganismen nutzen und sie im Labor dazu bringen können, große Mengen PHA für uns zu produzieren

Um PHA im Bioreaktor zu produzieren, gibt es einige Herausforderungen zu bewältigen. Wichtige Einflussfaktoren, die es beim Herstellungsprozess zu beachten gibt, sind zum Beispiel…

  • Das Bakterium
  • Das Nährmedium
  • Die Aufbereitungsmethode
PHA-Produktion (Bioplastik) im 2 Liter Bioreaktor
PHA-Produktion im 2 Liter Bioreaktor

Das Bakterium

Etwa 40 % aller Bodenbakterien sind in der Lage, PHA zu produzieren [2]. Daneben gibt es auch noch Bakterienarten, die nicht zu den natürlichen PHA-Produzenten zählen, aber durch gentechnische Modifikation trotzdem in der Lage sind, Plastik zu synthetisieren. Die Auswahl an Bakterienarten ist dementsprechend groß. Bekannte PHA-produzierende Vertreter, die in der Forschung gerne eingesetzt werden, sind unter anderem Bacillus megaterium, Cupriavidus necator, Escherichia coli oder das Cyanobakterium Synechocystis.

Innerhalb der unterschiedlichen Arten stehen jeweils zahlreiche Stämme zur Verfügung, die oft gentechnisch modifiziert wurden und dadurch speziell auf die Produktion großer Mengen PHA ausgerichtet sind. Jeder Mikroorganismus hat eigene Vor- und Nachteile, daher will die Auswahl gut überlegt sein.

Synechocystis ist als Cyanobakterium beispielsweise in der Lage, Photosynthese zu betreiben und synthetisiert PHA daher aus CO2 und Licht. Dass CO2 direkt in Plastik umgewandelt wird, ist natürlich ein riesiger Vorteil. Die Tatsache, dass Synechocystis, im Gegensatz zu vielen anderen Bakterienarten, nur sehr langsam wächst und eine vergleichsweise geringe Menge PHA produziert, steht dagegen eindeutig auf der Contra-Seite.

Was die Wachstumsrate und die PHA-Ausbeute angeht, liegt das Bodenbakterium Cupriavidus necator eindeutig vorne, allerdings betreibt dieses keine Photosynthese und ist daher auf eine andere Kohlenstoffquelle, beispielsweise in Form von Zucker, angewiesen. Es muss also sorgfältig abgewogen werden, welcher Mikroorganismus am besten zum geplanten Forschungsziel und Experimentaufbau passt.  

Das Nährmedium

Das Nährmedium, in dem die Bakterien gezüchtet werden, soll den Bakterien alle Nährstoffe liefern, die sie für ihr Wachstum und zur PHA-Produktion benötigen. Auch hier gibt es wieder einiges zu beachten. Die wichtigsten essentiellen Bestandteile, die in jedem Nährmedium enthalten sein müssen, sind Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor. Insbesondere die Kohlenstoffquelle spielt eine Schlüsselrolle, wenn es um die Herstellung von PHA geht, denn …

  • PHA besteht zum Großteil aus Kohlenstoff.
  • Kohlenstoff muss im Nährmedium im Überschuss vorhanden sein, um die PHA-Produktion in Gang zu setzen.
  • Um 1 kg PHB herzustellen, werden beispielsweise 3 kg Zucker benötigt [3].

Die Frage, welches Nährmedium und welche Kohlenstoffquelle sich am besten zur PHA-Produktion eignen, lässt sich wieder mal nicht so einfach beantworten. Die Wahl hängt zum einen vom verwendeten Bakterium ab – hier hat jeder Organismus eigene Vorlieben – zum anderen auch vom PHA-Typen, den man herstellen möchte. Außerdem sind natürlich auch die Kosten ein wesentlicher Faktor – dazu aber später mehr.

In Frage kommen zum Beispiel verschiedene Zucker, Öle, Fette oder Alkohole. Denkbar ist es sowohl, die Substanzen in ihrer Reinform zu verwenden als auch organische Abfallprodukte zu nutzen, die diese Bestandteile enthalten. Beliebt sind unter anderem Glycerin (ein Nebenprodukt aus der Biodieselproduktion) sowie Abfälle und Abwasserströme, die bei der Herstellung von Lebensmitteln wie Zucker, Öl, Milchprodukten, Süßigkeiten oder Getränken anfallen.

In der Regel sind Reinsubstanzen natürlich besser geeignet, um große Mengen PHA zu produzieren, allerdings fallen hierfür deutlich höhere Kosten an. Hier stellt sich die Frage, inwiefern mögliche Einbußen in Bezug auf die PHA-Ausbeute durch die erheblich niedrigeren Kosten der Abfälle ausgeglichen werden können. Weiterhin ist es aus bioökonomischer Sicht wünschenswert, eine regenerative Kreislaufwirtschaft zu etablieren, in der ausschließlich Abfallprodukte zur Plastikproduktion verwendet werden.  

Die Aufbereitungsmethode

Wir stellen uns vor, wir haben das für unsere Ansprüche optimale Bakterium und das dazu passende, perfekte Nährmedium gefunden. Die Bakterien haben sich fleißig vermehrt und große Mengen PHA gebildet. Doch wie kriegen wir das Plastik denn jetzt aus den Bakterien raus?

Auch hier gibt es wieder unzählige Möglichkeiten mit verschiedenen Vor- und Nachteilen in Bezug auf die Ausbeute und die Reinheit des Biokunststoffs sowie die Kosten. Zunächst werden die Bakterien vom Nährmedium getrennt. Im Labormaßstab arbeitet man hier meist mit Zentrifugen. Während sich die Biomasse – also die Bakterien – am Boden sammelt, schwimmt das Nährmedium oben und kann einfach abgegossen werden.

Um das PHA jetzt zu befreien, muss die Zellmembran aufgelöst werden. Im Anschluss wird das freigesetzte PHA von den restlichen Zellbestandteilen getrennt, gereinigt und getrocknet.

Lange etablierte Extraktionsmethoden mit giftigen Chemikalien wie Chloroform werden nach und nach durch ökologisch unbedenkliche chemische, physikalische oder biologische Verfahren ersetzt. Der Kreativität der Forschenden sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Ein Team kam zum Beispiel auf die Idee, Mehlwürmer mit den PHA-akkumulierenden Bakterien zu füttern und hat das PHA anschließend mit Erfolg aus dem Kot der Würmer extrahiert [4].

Aus Nährstoffen und Bakterien wird Bioplastik
Verwandlung abgeschlossen: Aus einem Röhrchen voller Nährmedium und Bakterien wird nach der Extraktion Bioplastik

Eigenschaften und Molekülstruktur – was PHAs auszeichnet

Wie schon erwähnt, handelt es sich bei PHA um keinen spezifischen Kunststoff, sondern um eine ganze Stoffklasse. Die verschiedenen PHA-Typen unterscheiden sich in der Anzahl der Kohlenstoffatome pro Monomer. Die Monomere verbinden sich schließlich miteinander  – sie polymerisieren – und bilden auf diese Weise Kunststoff-Polymere, die zu unzähligen Produkten weiterverarbeitet werden können.

Je nach Anzahl der Kohlenstoffatome pro Monomer weisen die Kunststoffe große Unterschiede in ihren Eigenschaften auf. Das Monomer des einfachsten und gleichzeitig bekanntesten Vertreters – das Polyhydroxybutyrat (PHB) – besteht aus einer Kette aus drei Kohlenstoffatomen und zählt damit zur Gruppe der kurzkettigen PHAs. Monomere mit 6-14 Kohlenstoffatomen werden als mittelkettige PHAs bezeichnet und jene mit 15 oder mehr Kohlenstoffatomen gehören zur Klasse der langkettigen PHAs.

Molekulare Struktur eines PHB-Monomers: Mit einer Molekülkette aus drei Kohlenstoffatomen das am einfachsten aufgebaute PHA

Durch die durch diese Vielseitigkeit erreichte große Spannweite an unterschiedlichen Eigenschaften sind PHAs theoretisch in der Lage,  einen Großteil der Kunststoffe auf Erdölbasis zu ersetzen. Der bekannte Vertreter PHB ähnelt in seinen Eigenschaften zum Beispiel dem Polypropylen  und eignet sich daher gut zur Herstellung von Verpackungsmaterial oder Folien. Die Fähigkeit, in kurzer Zeit wieder abgebaut werden zu können, haben dabei alle PHA-Typen gemeinsam. Sowohl im Wasser, in der Erde oder an der Luft zersetzen sich PHAs zu 100 %.

Warum PHAs immer noch auf ihren Durchbruch warten

Kommen wir zum großen ABER der PHAs: Die Herstellungskosten!

PHA kann preislich mit herkömmlichem Plastik auf Erdölbasis leider nicht mithalten. Vergleicht man beispielsweise PHB – wie schon erwähnt, das bekannteste Mitglied der PHA-Familie – mit Polypropylen, dem es in seinen Eigenschaften sehr ähnlich ist, ergeben sich für PHB vier- bis zehnmal höhere Produktionskosten.[5]

Weil PHB beispielsweise für Verpackungen und Folien eingesetzt werden soll, kann man sich denken, dass sich so hohe Preise am Massenmarkt einfach nicht durchsetzen, weil kaum jemand bereit ist, vier- bis zehnmal höhere Kosten für Kunststoffverpackungen zu zahlen. Obwohl die Entdeckung von PHB in ein paar Jahren schon hundertjähriges Jubiläum feiert, konnte seither noch kein wirtschaftlicher Herstellungsprozess entwickelt werden, der dem PHB oder anderen PHAs seinen Durchbruch ermöglichen konnte.

Unter anderem liegt das auch daran, dass das Interesse an dem neuen Material lange Zeit nach seiner Entdeckung gering war. Zu dieser Zeit war Erdöl günstig und in Massen vorhanden –  die dramatischen Auswirkungen auf Umwelt und Klima noch lange nicht absehbar. Das änderte sich erst in den 70ern, mit dem Beginn der Ölkrise. Zu dieser Zeit wuchs das Interesse der Industrie an dem Werkstoff zwar und die Forschung intensivierte sich, als die Ölpreise wieder sanken, wurde das bis dahin gehypte Material jedoch schnell wieder vergessen und die meisten der Forschungsprojekte eingestampft.

Erst seit Plastik auf Erdölbasis zunehmend in Verruf geraten ist, ist das Interesse nach und nach wieder gestiegen. Inzwischen gibt es weltweit zahlreiche Forschungsprojekte, deren Ziel es ist, PHA langfristig auf dem Massenmarkt zu etablieren.  Ob es damit nun endlich seinen wohlverdienten großen Auftritt bekommt oder ein Nischenprodukt bleiben wird, steht noch in den Sternen. Unabhängig davon ist es aber ein weiteres tolles Beispiel dafür, wie Bakterien unser Leben erleichtern können.

Auf den Punkt gebracht: Was wir über PHAs/Bioplastik gelernt haben

  • PHAs sind eine gesamte-Stoffklasse von Biokunststoffen (Bioplastik), die als natürliches „Fettpolster“ in vielen Bakterien gebildet werden.
  • Da PHAs so vielseitig sind, könnten sie viele Kunststoffe auf Erdölbasis ersetzen.
  • Der einfachste und bekannteste Vertreter der PHAs ist das PHB. Dieses ähnelt in seinen Eigenschaften dem Polypropylen und könnte beispielsweise zur Produktion für Verpackungen und Folien verwendet werden.
  • PHAs sind bisher nur ein Nischenprodukt, weil ihre Herstellung im Vergleich zu herkömmlichem Plastik vier- bis zehnmal teurer ist. 
  • Weltweit wird daran geforscht, die Produktionskosten für PHA zu senken. Ziel ist unter anderem, ausschließlich Abfälle als Rohstoffe zu verwenden.

Über die Gastautorin Sabrina Hofmann

Mein Name ist Sabrina Hofmann und ich studiere Angewandte Chemie mit Fachrichtung Biochemie an der Technischen Hochschule Nürnberg. Weil mir Nachhaltigkeit und Umweltschutz sehr am Herzen liegen, war ich auf der Suche nach einem dazu passenden Forschungsthema für meine Bachelorarbeit. Durch meine Professorin habe ich das erste Mal von PHAs gehört und war sofort begeistert. Bis in das Masterstudium hinein habe ich mich schließlich mit der Herstellung von PHB auf Basis von Industrieabwässern beschäftigt. Weil es in der Biochemie so viele interessante Forschungsgebiete gibt und ich so viel wie möglich kennenlernen möchte, hat es mich aber inzwischen für meine Masterarbeit in die Mikrobiomforschung und die Bioinformatik verschlagen.

Quellen

Abbildung

Koller et al., in Polyester (Hrsg.: H. E.-D. Saleh), InTech 2012.

Text

[1] L. L. Madison, G. W. Huisman, Metabolic Engineering of Poly(3-Hydroxyalkanoates): From DNA to PlasticMicrobiology and Molecular Biology Reviews 1999, 63 (1), S. 21–53.

[2] Q. Wu, S. Sun, P. H.F. Yu et al., Environmental dependence of microbial synthesis of polyhydroxyalkanoates. Acta  Polymerica Sinica 2000, 12 (6), S. 751–756.

[3] Mündliche Information von Dr. Urs Hänggi (Firma Biomer)

[4] P. Murugan, L. Han, C.-Y. Gan et al., A new biological recovery approach for PHA using mealworm, Tenebrio molitor. Journal of biotechnology 2016, 239, S. 98–105.

[5] biokunststoffe.de
plastikticker.de

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