Zuletzt aktualisiert am 17. Februar 2024 von Isabell
EHEC-Infektionen sind vielfältig und gleichzeitig tückisch: Obwohl wir es mit einer bakteriellen Infektion zu tun haben, können wir auf Antibiotika nicht zurückgreifen. Denn Antibiotika stressen die Bakterien und die schlagen dann zurück: dem Patienten gehts deutlich schlechter. EHEC breiten sich im Dickdarm aus, also dort, wo auch unser Mikrobiom angesiedelt ist. Da liegt die Frage nahe: Können wir das Mikrobiom bzw. nützliche Bakterien wie L. casei nutzen, um EHEC zu behandeln?
Table of Contents
- EHEC-Infektionen: bakterielle Erkrankung, aber besser nicht mit Antibiotika behandelbar – vielleicht mit L. casei?
- Kann das Mikrobiom als alternative Behandlung von EHEC-Infektionen genutzt werden?
- Spotlight der EHEC-Forschung: Probiotika als Therapie?
- (Wie) Können diese Ergebnisse zukünftig genutzt werden?
- Zusammengefasst
- Und jetzt du!
Meine Labor”haustierchen” sind EHEC-Bakterien. Einmal mit ihnen infiziert, quälen sich Patienten mit Bauchkrämpfen und Durchfällen, teilweise blutig. In schlimmen Fällen werden die Nieren so stark geschädigt, dass sie versagen. Auch neurologische Erscheinungen wie Sprachstörungen können auftreten. Allein in Deutschland infizierten sich letztes Jahr mehr als 3.400 Menschen mit EHEC. Das Tragische daran: Ein Drittel der Infizierten waren Kinder unter 6 Jahren.
Doch nicht nur in Deutschland kommt EHEC vor. Länder, in denen Vieh intensiv gehalten oder Fleisch in Mengen gegessen wird, sind häufiger von EHEC-Infektionen betroffen. In Argentinien oder den USA tritt diese zoonotische Erkrankung häufig auf. Zoonosen sind Erkrankungen, die dadurch ausgelöst werden, dass wir die Bakterien vom Nutztier aufnehmen. Denn normalerweise besiedelt EHEC Rinder und Schafe, ohne dass diese erkranken. Haben wir Menschen intensiven Kontakt mit den Tieren oder deren Ausscheidungen, gehen die Bakterien vom Tier auf uns Menschen über.
Bei vielen Patienten regulieren sich die Durchfälle nach einigen Tagen selbst, aber die schweren Fälle müssen definitiv behandelt werden. Bis heute können Ärzten den Betroffenen meist nur helfen, indem sie die Symptome lindern. Konkret heißt dies: Flüssigkeits- und Elektrolytzufuhr und bei Patienten mit verringerter Nierenaktivität unter Umständen eine Dialyse.
EHEC-Infektionen: bakterielle Erkrankung, aber besser nicht mit Antibiotika behandelbar – vielleicht mit L. casei?
Nun könntest du sagen, dass es sich bei EHEC-Infektionen um eine bakterielle Infektion handelt. Und ich gebe dir recht! Bei vielen anderen Bakterien ist das Antibiotikum das Mittel der Wahl, um die Bakterieninfektion zu bekämpfen. Vorausgesetzt natürlich, dass das Bakterium nicht resistent ist. EHEC ist hier etwas komplizierter. Allgemein stressen Antibiotika Bakterien und das finden die gar nicht lustig. Um sich zu wehren, bilden EHEC-Bakterien unter anderem das Shigatoxin, das die Darmwand des Patienten so stark angreift, dass diese zerstört werden und bluten.
Die Gefahr, den Krankheitsverlauf der Patienten zu verschlechtern, nachdem Antibiotika gegeben wurde, wäre viel zu groß! Und deswegen ist die allgemeine Empfehlung, bei EHEC-Infektionen auf Antibiotika zu verzichten. Ein großes Problem, denn nicht jeder Patient, nicht jeder Körper schafft es, EHEC aus dem Körper zu entfernen. Eine Behandlung gerade für Kinder ist daher ein wichtiges Ziel, wenn es darum geht, EHEC-Infektionen zu eliminieren.
Wie also kann eine Behandlung funktionieren, wenn die eigentlich effektivste Waffe, das Antibiotikum, hier nicht zur Verfügung steht?
Kann das Mikrobiom als alternative Behandlung von EHEC-Infektionen genutzt werden?
Die Forschung ist geprägt von Hypothesen, die wir mit Experimenten versuchen zu beantworten. In glücklichen Fällen entsprechen die Ergebnisse unseren Erwartungen und wir können direkt weiterforschen (und uns freuen, das möchte ich hier definitiv erwähnen).
Doch es gibt auch den anderen Fall, wenn die Ergebnisse anders als erwartet sind. Denn dann wird unser Konzept und unsere Überlegungen infrage gestellt. Die Hypothese wird nicht bestätigt. Was folgt? Wissenschaftler sind „gezwungen“, kreativere Wege einzuschlagen, die offensichtlichen Lösungen zu begraben und neue Ideen zu entwickeln.
Nun handelt es sich bei EHEC um ein Bakterium, das den Dickdarm des Patienten besiedelt. Und es ist hier keinesfalls das einzige Bakterium. Vielmehr sind wir Menschen als Holobiont von einer enormen Menge an Bakterien besiedelt. Diese Bakterien gehören zumeist zur guten Sorte und helfen uns sogar. So sorgt ihre bloße Anwesenheit dafür, dass die krankmachenden Bakterien im besten Fall keinen Platz finden, um sich an unsere Darmwand anzuheften. Kolonisationsresistenz wird dieser Zustand genannt.
Die Gesamtheit der Bakterien, Viren und auch Pilze (in unserem Darm) wird das Mikrobiom genannt. Einen Überblicksbeitrag zum Mikrobiom findest du hier.
Wir können hier also einen Kniff nutzen: Gute Bakterien der Darmflora unterstützen uns, indem sie Stoffwechselprodukte, die sogenannten Metabolite, bilden. Dadurch ist der Darm der place to be für die guten Bakterien, die sich am reichhaltigen Nahrungsangebot erfreuen und sich munter vermehren. Dann ist wiederum zu wenig Platz für die schlechten Bakterien. Noch dazu können diese Metabolite sogar helfen, die krankmachenden Bakterien abzutöten. Punkt für die guten Bakterien!
Wenn wir nun also eh schon viele (gute) Bakterien in uns beherbergen, die uns sogar in der richtigen Komposition helfen, wie wirken sich diese probiotischen Bakterien auf EHEC-Infektionen aus? Gibt es Bakterien, die dafür sorgen, dass blutige Durchfälle gar nicht erst bei EHEC-Infektionen auftreten? Und die wir sogar als Therapie nutzen können?
Spotlight der EHEC-Forschung: Probiotika als Therapie?
Diese Frage wird bereits seit einigen Jahren untersucht, da sich in all der Zeit keine zufriedenstellende Behandlung von EHEC-Infektionen zeigt. Neueste Erkenntnisse von Forschern der Universität Maryland in den USA (Link) deuten jetzt darauf hin, dass das Bakterium Lactobacillus casei (L. casei) und die von ihm produzierte Linolsäure hilft, die zellschädigende Wirkung des Shigatoxins abzumildern.
Doch Schritt für Schritt, bevor wir in die Forschung einsteigen. Shigatoxin ist ein Gift, das von EHEC produziert wird und Zellen absterben lässt. Es ist die Ursache für die blutigen Durchfälle und dafür, dass die Nieren versagen. L. casei ist ein probiotisches Bakterium, das zum Beispiel in grünen Oliven und reifendem Cheddar für den typischen Geschmack verantwortlich ist. Es produziert die sogenannte Linolsäure, für die die Forscher bereits in früheren Untersuchungen eine antibakterielle Wirkung auf EHEC zeigten. Doch wie und warum, das konnten die Forscher bisher nicht aufdecken.
Forschungsfragen
Wenn die übliche Herangehensweise ausfällt (hier das Antibiotikum), müssen Alternativen her. Da EHEC-Infektionen den Darm betreffen, kann überprüft werden, inwiefern das Mikrobiom des Patienten bzw. Bakterien oder deren Metabolite EHEC und das Shigatoxins unterdrücken können.
Die Forscher der Studie stellten sich zu Beginn ihrer Experimente zwei Fragen:
- Wie beeinflusst die Linolsäure die Produktion des Shigatoxins? und
- Inwiefern können die Metabolite probiotischer Bakterien die Produktion des Shigatoxins hemmen oder gar neutralisieren?
Experimente und Ergebnisse – die Zellkultur
Diesen Fragen wurden mit in vitro-Experimenten beantwortet, also Experimenten, die im Labor stattfinden. Mögliche Einflüsse werden dabei immer in Etappen betrachtet. EHEC lagert sich an die Zellen des Dickdarms an und zerstört diese. Hier finden sich die auch die speziellen Andockstellen, die Rezeptoren, für das Shigatoxin. Sobald sich das Shigatoxin an diesen Rezeptor heftet, kann es in die Zelle eindringen und die Proteinbildung stören. Die Zelle stirbt ab.
Diese Bindung und zellschädigende Wirkung wird im Labor mit speziellen Zellen untersucht (Zellkultur). Dafür werden diese Zellen in speziellen Flaschen gezüchtet und mit EHEC infiziert. Nach etwa zwei Tagen wird dann die Schwere der Zellschädigung bestimmt. Wird Shigatoxin produziert, werden bis zu 70 % der Zellen abgetötet.
In einem nächsten Schritt wurde dann untersucht was passiert, wenn neben EHEC Linolsäure und L. casei zugegeben werden, die von sich aus Linolsäure produzieren. Und hier wird es spannend! Denn die Forscher sahen, dass die zellschädigende Wirkung des Shigatoxins auf die Zellen abnahm, wenn die Linolsäure allein zu EHEC zugegeben wurde. Wenn die Linolsäure von L. casei selbst produziert wurde, wurden die Zellen sogar noch besser geschützt.
Mit konkreten Zahlen heißt das: Ist EHEC vorhanden und bildet Shigatoxin, sterben bis zu 70 % der Zellen. Sind zusätzlich Linolsäure oder L. casei anwesend, sterben nur noch etwa 34 % – 45 %.
Ergebnisse und Schlussfolgerung
Warum ist es zu diesen Ergebnissen gekommen? Die Forscher vermuten hier zwei Möglichkeiten. Für die Linolsäure ist beschrieben, dass die Wundheilung geschädigter Zellen und die Zellregeneration unterstützt wird. Zellen der Zellkultur, die vom Shigatoxin befallen wurden, können mithilfe der Linolsäure eine gewisse Zellreparatur durchlaufen und sich regenerieren.
Das allein erklärt aber noch nicht, warum die zellschädigende Wirkung mit Linolsäure oder L. casei geringer ausfiel. Hier sind sich die Forscher nicht ganz einig, warum genau es dazu kommt, da die von ihnen gewählten Experimente keine eindeutigen Schlussfolgerungen zuließen. Es scheint, dass die Produktion des Shigatoxins verringert wird. Weniger Toxin führt zu einer geringeren Schädigung der Zellen. Ob dies aber wirklich der Fall ist, muss mit weiterführenden Experimenten überprüft werden.
(Wie) Können diese Ergebnisse zukünftig genutzt werden?
Stellt sich die Frage, was wir mit den derzeitigen Ergebnissen anfangen können. Bisher wurden Infektionen mit Darmbakterien einzeln betrachtet, losgelöst von der Umgebung im Dickdarm. Gerade in den letzten Jahren wurde immer deutlicher, wie wichtig unser Mikrobiom für unsere Gesundheit ist und ein verschobenes Mikrobiom zu Erkrankungen wie Diabetes führen kann.
Für bakterielle Infektionskrankheiten, die den Darm betreffen, führte dies zu einem anderen Blick darauf, wie Krankheitserreger mit den Bakterien des Mikrobioms zusammenwirken. So konnte bereits gezeigt werden, dass wenn bestimmte probiotische Bakterien vorhanden sind, die Produktion des Shigatoxins reduziert ist.
Nimmt der Patient Antibiotika, verändert sich die Zusammensetzung der hilfreichen Bakterien des Mikrobioms. Dadurch kann die Kolonisationsresistenz verringert sein und EHEC kann leichter an die Darmzellen anheften.
Die Ergebnisse dieser Studie stellen, zusammen mit Arbeiten anderer Forscher, erste Ergebnisse, Einblicke und Ansätze dar. Sie sind jedoch noch in einem Anfangsstadium. Denn bisher wird eine EHEC-Infektion im Labor eindimensional betrachtet, die das vielfältige Mikrobiom und den Aufbau des Darms mit all seinen Wechselwirkungen nicht erfassen kann. Was fehlt ist eine vielschichtigere Betrachtung der Infektion im Labor.
Auch hier hat sich in den letzten Jahren viel getan. Infektionen, auch die von Darmerregern, werden immer häufiger durch sogenannte Organoide rekonstruiert. Organoide sollen aufgrund des dreidimensionalen Aufbaus das zu untersuchende Organ realistischer nachstellen und so den tatsächlichen Zustand darstellen. Hier freue ich mich schon auf die Ergebnisse in den nächsten Jahren und inwiefern die Ergebnisse den tatsächlichen Zustand repräsentieren.
Auch wenn die Ergebnisse dieser und weiterer Studien noch nicht für eine Behandlung beim Patienten zugänglich ist, geben sie doch Hoffnung, dass EHEC-Infektionen unabhängig von Antibiotika gezielt behandelt werden könnten. Es bleibt abzuwarten, welche Fortschritte die Forschung in den nächsten Jahren in dieser Thematik macht.
Zusammengefasst
Wer? | Forscher der Universität Maryland, USA |
Was? | Untersuchung der Wirkung probiotischer Bakterien während einer EHEC-Infektion in vitro |
Wozu? | Alternative Behandlungsmöglichkeiten von EHEC |
Warum? | EHEC-Infektionen sollten nicht mit AB behandelt werden |
Wie? | L. casei-Bakterien, die mit ihren gebildeten Metaboliten wie Linolsäure die Wirtszelle schützen bzw. antibakteriell wirken |
Das Ergebnis | Das probiotische Bakterium Lactobacillus casei produziert Linolsäure. Beides hilft, die zellschädigende Wirkung des Shigatoxins zu dämpfen, sodass weniger Zellen absterben. Bei EHEC-Patienten könnte dies bedeuten, dass blutige Durchfälle nicht oder weniger stark auftreten. |
Und jetzt du!
Was kannst du machen, um dich bestmöglich vor Infektionen mit krankmachenden Darmbakterien zu schützen? Hier ein paar Ideen (auf weitere Impulse freue ich mich in den Kommentaren):
- Ernähre dich abwechslungsreich und mit möglichst viel Gemüse. So finden die guten Bakterien im Darm ausreichend Nahrung, vermehren sich und schützen uns durch ihre Anwesenheit und ihre Stoffwechselprodukte (Metabolite).
- Bewege dich regelmäßig – das fördert die guten Darmbakterien.
- Gemüse vor dem Verzehr immer gut abwaschen, um Rückstände von Kuh- und Schweinemist aus der Düngung zu entfernen.
- Fleisch gut durchbraten, Rohmilchprodukte gut durcherhitzen.
- Eierhaltige Produkte durchgängig kühlen, vor allem im Sommer.
- Hände waschen vor der Zubereitung von Speisen.