Zuletzt aktualisiert am 15. September 2024 von Isabell
Etwa 1,3 Millionen Menschen starben 2019 weltweit durch resistente Bakterien. Jeder 43. Mensch weltweit stirbt, weil eine Infektion mit einem (multi)resistenten Bakterium nicht behandelt werden kann.
Diese erschreckenden Zahlen gingen Anfang 2022 wie ein Lauffeuer durch die Nachrichten. Die im wissenschaftlichen Magazin Lancet veröffentlichte Studie untersuchte Veröffentlichungen zu diesem Thema im Jahr 2019 sowie die Daten von Krankenhaus- und Gesundheitsüberwachungssystemen. Anhand dieser Daten schätzten sie die Todeszahlen derer ab, die durch resistente Keime starben.
Dieser Beitrag gibt dir einen umfassenden Überblick über das breite Feld der Antibiotika. Tiefer ins Thema steigst du über die Verlinkungen ein.
Antibiotika sind chemische Substanzen
Antibiotika sind chemische Substanzen, die gegen Mikroorganismen wirken und sie in ihrem Wachstum hemmen. Noch bevor Alexander Fleming das natürliche Antibiotikum Penicillin 1928 zufällig entdeckte, entwickelte Paul Ehrlich bereits Anfang des 20. Jahrhunderts ein synthetisches Chemotherapeutikum, Salvarsan, um Syphilis zu behandeln.
Natürliche Antibiotika
Antibiotika können natürliche oder künstlich hergestellte (synthetische) Substanzen sein. In der Natur werden Antibiotika durch viele Bakterien und Pilze produziert. Damit verschaffen sie sich einen Überlebensvorteil, indem sie sich vor anderen Mikroorganismen schützen.
Die meisten Antibiotika werden von bestimmten Bakterien, den sogenannten Aktinomyzeten, produziert. Das ist eine Gruppe grampositiver Bakterien, die durch ihr fadenartiges, fast pilzartiges Aussehen auffällt. Antibiotika, die sie bilden, sind beispielsweise Chloramphenicol (Breitbandantibiotikum), Makrolide (etwa Erythromycin) oder Tetrazykline (beispielsweise Doxycyclin).
Synthetische und halbsynthetische Antibiotika
Neben den natürlichen Antibiotika werden heute zusätzlich vollständig künstlich im Labor hergestellte Antibiotika (synthetische Antibiotika) oder halbsynthetische Antibiotika eingesetzt. Bei den halbsynthetischen Antibiotika greifen Forscher auf natürliche Antibiotika zurück, die sie chemisch verändern. Dadurch soll die Wirkung dieser verbessert werden.
Unter Antibiotika verstanden Forscher früher ausschließlich natürlich produzierte Substanzen. Heutzutage fallen darunter auch solche, die auf den natürlichen Antibiotika beruhen, teilweise chemisch modifiziert oder vollständig synthetisch hergestellt werden.
Antibiotika – eine zufällige Entdeckung?!
Bereits vor über 2.000 Jahren nutzten die alten Chinesen, Griechen und Ägypter Pilze und Pflanzen, um Krankheiten zu bekämpfen. Sie entdeckten, dass sie mit den Pflanzen Krankheiten wie Pickel, Eiterbeulen oder ähnliche Krankheiten lindern oder gar heilen konnten. Die genauen Substanzen dahinter kannten sie nicht. Vielmehr wurde das Wissen weitergegeben. Doch auch zu viel Wissen konnte schaden, etwa bei heilkundigen Frauen im Mittelalter.
Das erste, natürliche Antibiotikum
Erst in den 1920er Jahren entdeckte der schottische Wissenschaftler Alexander Fleming durch Zufall, dass Schimmelpilze einen Stoff produzieren, der das Wachstum von Bakterien hemmen kann. Fleming forschte an Staphylokokken. Als genialer, aber etwas unordentlicher Wissenschaftler im Labor waren seine Agarplatten mit Staphylokokken verunreinigt.
Der Zauber passiert, während er sich ein paar freie Tage gönnte. Zurück im Labor fiel ihm auf, dass Schimmelpilze auf seinen Agarplatten wuchsen. Beim genaueren Betrachten entdeckte er, dass sich um den Pilz herum ein Ring gebildet hatte. Dieser Ring war frei von Bakterien.
Er untersuchte die Substanz genauer, die durch den Pilz Penicillium gebildet wurde. Die entdeckte Substanz, die grampositive Bakterien abtötet, nannte er Penicillin. Tragischerweise kam bereits ein Wissenschaftler in den 1890er Jahren mit diesem Stoff in Berührung, doch seine Forschung fand keine Beachtung.
Fleming und Penicillin stellen den (letztendlichen) Startschuss für die Ära der Antibiotika dar
Die Entdeckung von Penicillin befeuerte die Forschung an Antibiotika. Bereits Ende der 1940er Jahre wurden viele weitere Antibiotika entdeckt. Penicillin selbst war kurz nach dem Zweiten Weltkrieg für die Ärzte zugänglich, nachdem während des Krieges die Produktion von Penicillin entschieden vorangetrieben wurde.
Wie Antibiotika wirken
Kannst du dich noch an den Aufbau der Bakterien erinnern? Wenn nicht, dann schau schnell nochmal hier vorbei. Denn dieser Bakterienaufbau ist wichtig, damit du die verschiedenen Antibiotika besser einordnen kannst.
Bei Antibiotika unterscheiden wir primär zwei Arten: Breitband- und Schmalbandantibiotika.
Antibiotika, die gegen alle Bakterien, also die grampositiven und gramnegativen Bakterien, wirken, sind Breitbandantibiotika. Wirken sie dagegen nur gegen bestimmte Bakterien, sind es Schmalbandantibiotika.
Antibiotika greifen an verschiedenen Stellen der Bakterien an
Denn es gibt nicht „das Eine“ Antibiotikum, um Bakterien zu bekämpfen. Vielmehr gibt es eine Vielzahl von ihnen, die an unterschiedlichen Stellen am und im Bakterium angreifen. Dazu zählen u.a.
- die Zellwand und deren Synthese – hier greifen Penicilline (Mandelentzündung, Scharlach) und Cephalosporine (Atemwegsinfektion) an
- die Zytoplasmamembran – Polymyxine (Infektionen mit Pseudomonas aeruginosa) und Daptomycin (Breitbandantibiotikum)
- die DNA – Ciprofloxacin zur Behandlung von Harnwegsinfektionen
- verschiedene Stellen des Herstellungsapparates für Proteine – Chloramphenicol (Pest-Meningitis; wird heute nur noch in Ausnahmefällen verwendet), Tetrazykline (Chlamydien, Syphilis, Borreliose) oder Gentamicin (Streptokokken-Endokarditis)
Nicht jedes Antibiotikum wirkt bei jedem Bakterium gleich gut. Der unterschiedliche Zellwandaufbau bei grampositiven und gramnegativen Bakterien etwa bewirkt, dass Zellwand angreifende Antibiotika bei gramnegativen Bakterien kaum Wirkung zeigen.
Wenn Antibiotika problematisch werden
Mit dem Einsatz von Antibiotika beginnt ein Wettlauf zwischen Mensch und Mikrobe. Der massive Einsatz der Antibiotika führte aber zu einem großen Problem: resistente Bakterien entwickeln sich und somit treten Resistenzen gegen Antibiotika auf, die sie nutzlos machen. Für die meisten Antibiotika traten bereits in den ersten 10 Jahren, nachdem sie für die Behandlung genutzt wurden, Resistenzen auf (siehe Abbildung 2).
Das heißt: die Antibiotika, die wir nutzen, um Infektionen mit Bakterien zu behandeln, wirken nicht mehr. Ganze Antibiotikaklassen sind in diesem Stadium mitunter nutzlos und die Suche nach immer neuen Antibiotikaklassen beginnt.
Während es im Goldenen Zeitalter der Antibiotika unterschiedliche Antibiotika gab, wurden seit etwa 40 Jahren keine neuen Antibiotikaklassen entdeckt. Diese sogenannte Innovationslücke wird insbesondere dann problematisch, wenn die Bakterien bereits gegen unterschiedliche Antibiotika resistent sind. Patienten mit Infektionen dann zu behandeln wird eine scheinbar unlösbare Aufgabe
Wie aber kommt es zu Resistenzen beziehungsweise resistenten Bakterien?
Bakterien sind kleine Genies und haben verschiedene Wege entwickelt, sich des Antibiotikums zu entledigen
Mit der Zeit haben sich Bakterien schlaue Arten einfallen lassen, um trotz des Antibiotikums zu überleben. So können Bakterien
- die Struktur, die sie angreift, aktiv verändern und damit wirkungslos machen,
- den Stoff aktiv aus ihrer Zelle in die Umgebung befördern,
- das Antibiotikum zerschneiden, um es zu inaktivieren oder
- zufällig vorher schon resistent gegen das Antibiotikum sein.
Besonders der letzte Punkt ist eine verbreitete Taktik. Solche Resistenzen können zufällig durch freie DNA aus der Umgebung in das Bakterium aufgenommen werden. Diese Informationen für Resistenzen können dabei auf ringförmigen DNA-Molekülen, den sogenannten Plasmiden, gespeichert sein. Ganz zufällig hat das Bakterium bei Anwesenheit des Stoffes dann einen Vorteil gegenüber anderen Bakterien.
Erweist sich diese Information dann als nützlich, kann sie ganz einfach an den nächsten Nachkommen durch einfache Zweiteilung weitergegeben werden. Immer mehr Bakterien erhalten dann die Resistenz und setzen sich durch.
Gibt es überhaupt Alternativen zu Antibiotika?
2017 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation WHO eine Liste mit kritischen Bakterien, die gegen mindestens ein Antibiotikum resistent sind. Mit dieser Veröffentlichung fokussierte die WHO die Entwicklung neuer Antibiotika für diese kristischen Bakterien. Parallel dazu werden weitere Strategien verfolgt, um bakterielle Infektionen zu bekämpfen:
Bakteriophagen sind spezielle Viren, die ausschließlich Bakterien infizieren. Diese Phagen, so der Spitzname der Bakteriophagen, sind dabei so spezifisch, dass für jedes Bakterium ein geeigneter Phage existiert. Ein Cocktail aus verschiedenen Phagen kann dann genutzt werden, um Bakterieninfektionen zu bekämpfen.
2. Antimikrobielle Peptide
Antimikrobielle Peptide sind kurze Aminosäuresequenzen, die natürlicherweise von Tieren, Pflanzen und Menschen gebildet werden. Sie dienen der Immunabwehr, indem sie beispielsweise die Zellmembran der Bakterien zerstören. Das Interessante: sie wirken auch gegen resistente Bakterien.
3. Behandlung mit Antikörpern
Antikörper sind spezifische Strukturen gegen Antigene wie Bakterien, die unser Körper bildet. Sie können mittlerweile auch im Labor gegen bestimmte Bakterien produziert werden. Da diese Antikörper Bakterien binden, werden sie besser von unserem Immunsystem erkannt und eliminiert.
4. Impfungen
Impfungen nutzen die körpereigene Immunabwehr, und zwar schon vor einer tatsächlichen Infektion. Dadurch bildet unser Körper Antikörper, die er bei einer Infektion mit dem Bakterium schnell nachbaut und so eine akute Infektion effizient bekämpft.
Gute Bakterien unseres Darms, das Mikrobiom, stellen eine nützliche Schutzschicht gegen krankmachende Bakterien dar. Denn diese guten Bakterien, die Probiotika, nehmen den Pathogenen den Platz zum Leben. Präbiotika werden bevorzugt von den Probiotika vernascht und helfen, dass sie sich rundum wohlfühlen. Indem wir Gemüse, wundervolle Präbiotika, zu uns nehmen, gedeihen die guten Bakterien und schützen gleichzeitig vor Infektionen.
6. Antimikrobielle Nanopartikel
Nanopartikel sind kleinste Partikel, die mit Kupfer oder Silber beschichtet sind. Da Kupfer und Silber antimikrobielle Eigenschaften besitzen, können mit ihnen gezielt Bakterien bekämpft werden. Das passiert, indem sie die Zellwand der Bakterien durchlöchern.
Kurz gesagt
Antibiotika bekämpfen Bakterien, aber immer mehr Bakterien werden resistent, ein weötweites Problem mit vielen Todesfällen. Neben natürlichen Antibiotika wie Penicillin gibt es heute auch künstlich hergestellte Varianten. Alternativen zu Antibiotika sind beispielsweise Phagen (Viren, die Bakterien angreifen), antimikrobielle Peptide, Antikörpertherapien und Impfungen, um Infektionen zu bekämpfen und Resistenzen zu umgehen.
Quellen:
Madigan, M. T., and J. M. Martinko. “Brock Mikrobiologie, 11. aktualisierte Auflage.” (2009)