Veränderungen des Mikrobioms im Laufe unseres Lebens – Kann unsere Darmflora altern?

Welche Veränderungen des Mikrobioms zeigen sich im Laufe unseres Lebens? Ab wann ist unser Mikrobiom entwickelt?
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Veränderungen des Mikrobioms – auch hier?
Alles in unserem Leben unterliegt einem Wandel. Gerade, wenn wir unser eigenes Leben betrachten, haben wir schon so viel gelernt und erlebt: Vom Baby, das Hilfe von Erwachsenen brauchte bis hin zum Erwachsenen, der sein eigenes Leben führt und Erfahrungen macht.

Funktioniert unser Körper dann gerade in dieser arbeitsintensiven Zeit einwandfrei, rückt unsere Gesundheit oft in den Hintergrund. Vielleicht „verschwenden“ wir ohnehin zu wenig Gedanken an unsere Gesundheit, wenn sie zuverlässig für uns da ist.

Falls du die letzten Beiträge zum Mikrobiom mitbekommen hast, ist dir vielleicht schon aufgefallen, wie wichtig unsere Darmflora, unser Mikrobiom, für unsere Gesundheit ist. Und dass wir mit unserem Lebensstil einen großen Einfluss auf unsere Darmbakterien haben.

Sollten wir uns also schon vorher Gedanken um unser Mikrobiom machen oder reguliert es sich von selbst? Wie und wann entwickelt sich das Mikrobiom?


Dieser Beitrag ist Teil der Reihe “Im Fokus – Mikrobiom“. Einen Monat lang werden wir wichtige und interessante Bereiche betrachten, die unsere Darmflora betreffen. Was können wir machen, damit sie vielfältig ist? Welche Funktion hat unsere Darmflora?

Bisher sind im Rahmen des Themenmonats erschienen:


Veränderungen des Mikrobioms finden statt

Das Wichtigste schon zu Beginn: Ja, unser Mikrobiom verändert sich im Laufe unseres Lebens. Genauso, wie wir uns entwickeln, entwickelt sich unser Mikrobiom parallel mit (so, wie es das schon seit Jahrhunderten macht).

Wir können diese Veränderungen des Mikrobioms in vier Phasen unterteilen:

  • erster Kontakt mit unseren Bakterien von der Geburt bis zur Beikosteinführung
  • Übergangsphase von der Beikosteinführung bis zur normalen Ernährung
  • Stabile Phase zwischen Kindheit und Erwachsenensein
  • im Alter

Wie du hier vielleicht schon siehst, ist unser Mikrobiom stark davon abhängig, wie unsere Ernährung sich ändert. Aber auch andere Einflüsse wie Antibiotika und Medikamente, Umwelteinflüsse und unsere Gene spielen eine wichtige Rolle.

Übersicht über die Veränderungen des Mikrobioms im Laufe unseres Lebens

Das Kennenlernen: Unser Starterset von unseren Müttern

Bereits während der Geburt, so die Annahme bisher, kommen wir das erste Mal mit (guten) Bakterien in Kontakt. Mit welchen Bakterien hängt stark von der Art der Geburt ab.

Bei vaginal geborenen Kindern sind die erstem Bakterien Bifidobacterium, Laktobazillen und Bacteroides, also die Bakterien, die in der Vaginalflora der Mütter vorherrschend sind. Dadurch, dass das Baby durch den Geburtskanal gedrückt wird, kommt das Baby direkt mit den Bakterien der Scheide in Kontakt. Ein Grund, warum während der Vorsorgeuntersuchungen auch auf schädliche Bakterien untersucht wird.

Bei Kindern, die per Kaiserschnitt geboren werden, sind die ersten Bakterien etwas unterschiedlich und durch den direkten Hautkontakt mit den Händen und der mütterlichen Haut geprägt. Im Allgemeinen ist die Entwicklung des Mikrobioms bei Kaiserschnittkindern etwas verzögert, sodass auch die Entwicklung des Immunsystems nachläuft.

Um diesen Unterschied ausgleichen zu können, wurde in neueren Studien untersucht, ob Kaiserschnittkinder mit den Bakterien der mütterlichen Scheidenflora direkt nach der Geburt in Kontakt gebracht werden können.

Es zeigte sich, dass sich die Entwicklung des Mikrobioms deutlich verbesserte und sich an die der vaginal geborenen Kinder anglich. Somit könnte dieser Unterschied durch den direkten Kontakt zwischen Baby und Scheidenflora der Mama eine hilfreiche Unterstützung sein.

Bakterien siedeln sich an

Während der ersten Lebensmonate werden Babys hauptsächlich durch Milch ernährt, sei es durch Muttermilch oder mithilfe der Flaschenmilch.

Dabei unterscheidet sich das Mikrobiom zwischen den beiden Milchformen. Während das Stillen eine Hauptquelle für gute Bakterien für Babys darstellt, ist diese durch die Flaschenmilch in diesem Umfang nicht gegeben. Es verwundert daher nicht, dass der Anteil an Bifidobacterium bei gestillten Kindern deutlich höher ist.

Die dominierenden Phyla in dieser ersten Phase sind Actinobacteria und Proteobacteria.

Das Mikrobiom der ersten Monate scheint einen entscheidenden Einfluss auf die Fähigkeit zur Regeneration im fortschreitenden Alter zu haben. Unterstützend kann hier ein lange, ausschließliches Stillen sein. Aber dieser Faktor allein beeinflusst natürlich nicht ein gesamtes Mikrobiom.

Vielmehr ist es das Zusammenspiel verschiedener Faktoren, die das Mikrobiom formen.

Kontakt mit guten Bakterien bereits im Mutterleib

Bisher war die Annahme, dass wir das erste Mal während der Geburt mit Bakterien in Kontakt kommen. Untersuchungen in den letzten Jahren konnten aber gute Bakterien in der Plazenta und der Nabelschnur nachweisen!

Dieser frühe Kontakt hilft bei der Besiedelung mit guten Bakterien und scheint zum normalen Prozess der Mikrobiom-Entwicklung dazuzugehören.

Übergangsphase: auf zu einer stabilen Darmflora

Die Einführung der Beikost führt zu dramatischen Veränderung des Mikrobioms: Die Anzahl der Bakterien nimmt zu und die Vielfalt wird größer. Im Verlauf unseres Lebens wird unsere Ernährung einen großen Einfluss auf unser Mikrobiom haben.

Die bisher vorherrschenden Proteo- und Actinobacteria werden nun durch Firmicuten und Bacteroidetes ersetzt. So kommen zum Beispiel Faecalibacterium prausnitzii und Akkermansia muciniphila, die bisher nicht oder kaum bei Babys vorhanden waren, zum Mikrobiom hinzu.

Innerhalb von 12 bzw. 24 Monaten nehmen sie eine Menge an, die bei Erwachsenen vorhanden sind.

Die Veränderungen des Mikrobioms kommen durch die Beikost zustande. Dadurch, dass die Beikost zunächst häufig mit Gemüsenbreien oder Gemüse beginnt, bekommen die guten Bakterien ideales Futter, um zu wachsen.

Entwöhnungsreaktionen im Körper, die prägend für unser Leben sind

Von der Milchnahrung zur Beikost. Nicht nur für uns Menschen ist dies eine Umstellung, sondern auch für unsere Bakterien im Darm. Je geringer der Milch- und je höher der Beikostanteil wird, umso stärker entwickelt sich das Mikrobiom.

Die Reduktion der Milch und die Zunahme der guten Bakterien führt im Körper der Babys und Kleinkinder zu einer Entwöhnungsreaktion. Das äußert sich im Körper durch Immunreaktionen. Unser Körper reagiert auf die zunehmende Menge an Bakterien.

Würde diese Entwöhnungsreaktion unterbunden, zum Beispiel durch die Einnahme von Antibiotika in diesem bestimmten Zeitraum, können daraus “Spätfolgen” entstehen. Es zeigt sich, dass diese fehlende anfängliche Immunreaktion zu einer erhöhten Anfälligkeit für entzündliche Darmreaktionen, allergische Entzündungen und Krebs im späteren Leben führen kann.

Denn durch die Einnahme eines Antibiotikums würden die guten Bakterien abgetötet. Dadurch würden die wichtigen Metabolite der guten Bakterien fehlen (SCFA, Retinolsäure, …), die uns vor eben diesen entzündlichen Prozessen schützen würden.

Die stabile Phase des Mikrobioms

Mit etwa drei Jahren hat sich unser Mikrobiom vollständig entwickelt und gleicht dem von Erwachsenen. Natürlich ist dies nur ein Durchschnittswert und die Mikrobiomentwicklung kann mitunter noch länger dauern.

Die wichtigsten Merkmale in dieser stabilen Phase sind die hohe Bakterienvielfalt und die dominierenden Firmicutes und Bacterioidetes.

Einflüsse in dieser Zeit, die zu Veränderungen des Mikrobioms führen, sie Antibiotika, Präbiotika, Umwelteinflüsse, unsere Gene und unsere Ernährung. Wie genau diese ganzen Faktoren einen Einfluss auf unser Mikrobiom haben, schauen wir uns im nächsten Beitrag einmal genauer an.

Interessant an dieser Phase ist außerdem, dass die Widerstandsfähigkeit der Darmbakterien eines gesunden Mikrobioms einigen Umwelteinflüssen trotzen und wieder zu seinem Ursprungszustand zurückkehren kann. Daher die Bezeichnung der stabilen Phase.

Unser alterndes Mikrobiom

Vielleicht ist dir schon einmal aufgefallen, dass die Immunabwehr bei älteren Menschen abnimmt und sie besonders anfällig für Infektionen sind (daher haben wir unsere Omis und Opis während Corona auch besonders geschützt).

Einerseits führen hier eine geringere Ballaststoffaufnahme, längere stationäre Pflege, die Einnahme entzündungshemmender Medikamente und Antibiotika zu einer Veränderung des Mikrobioms.

Ältere Menschen haben einen höheren Anteil an Bacteroidetes, während Jüngere einen höheren Firmicuten-Anteil aufweisen. Zu den Firmicuten zählen u.a. Laktobazillen und F. prausnitzii. Schauen wir uns dazu noch das Mikrobiom gesunder > 100-Jähriger an, sehen wir, dass sie viele A. muciniphila und Bifidobacterium aufweisen. Bifidobacterium gehören die den Actinobacteria, mit denen wir besonders im Säuglingsalter zu tun hatten.

Diese Erkenntnisse sowie neue Untersuchungen zeigen daher, dass das Mikrobiom einen Einfluss auf das Altern hat. Schauen wir uns dafür nochmal die gesunden, über 100-Jährigen an. Untersuchungen ihres Mikrobioms haben gezeigt, dass sich ihr Mikrobiom deutlich von denen anderer, älterer Menschen unterscheidet. So ist beispielsweise A. muciniphila, ein Indikatorbakterium für ein gesundes Mikrobiom, ist bei den > 100-Jährigen stark erhöht.

Es sieht daher so aus, als würde ein Verlust der guten Darmbakterien und ihrer nützlichen Aufgaben ebenso ein Verlust der Darmgesundheit bedeuten. Und dieser Verlust der Darmgesundheit leitet das Altern des Immunsystems ein, die sogenannte Immunoseneszenz.

Im Überblick: Veränderungen des Mikrobioms

  • Unser Mikrobiom lässt sich im Laufe unseres Lebens in vier Phasen unterteilen: die Kontaktphase, die Übergangsphase, die stabile Phase und die Phase des Alterns
  • bereits im Mutterleib kommen wir mit guten Bakterien in Kontakt; während der Geburt werden wir mit den ersten Bakterien besiedelt
  • der Start der Beikost führt zu Veränderungen des Mikrobioms: durch den hohen Gemüseanteil werden gute Bakterien gefördert und die nützlichen Stoffwechselprodukte gebildet
  • die Menge und Vielfalt an Bakterien nimmt in dieser Phase stark zu
  • die wichtige Entwöhnungsreaktion, eine Immunreaktion auf die zunehmende Bakterienzahl, ist eine wichtige Reaktion, die unser Mikrobiom für unser gesamtes Leben zu prägen scheint
  • mit etwa 3 Jahren ist unser Mikrobiom vollständig entwickelt
  • die stabile Phase des Mikrobioms (von etwa drei Jahren bis etwa 65 Jahre) ist dadurch gekennzeichnet, dass sich ein gesundes Mikrobiom nach äußeren Einflüssen regenerieren kann (bis zu einem gewissen Grad)
  • Veränderungen des Mikrobioms mit abnehmender Vielfalt und ohne gesundheitsfördernde Bakterien (wie A. muciniphila) führen zum Altern des Mikrobioms und des Menschen

Welche Veränderungen des Mikrobioms hat dich am meisten beeindruckt?

Im nächsten Beitrag wird es dann genauer um die Einflüsse auf unser Mikrobiom gehen. Welchen Einfluss haben unsere Ernährung, Umweltfaktoren und Medikamente auf unsere Darmgesundheit?

Alles Liebe
Isabell

Literatur:

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